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Zander, Judith

Zander, Judith

Titel: Zander, Judith Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: die wir heute saagten Dinnge
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gedrückt, in unseren
elend langen Röcken und Jabotblusen und glotzten auf die Jeansbeine, die zu
den Takten von Wolfgang Petry und Metallica rumhüpften. Doch irgendwann war es
uns egal, und wir hüpften mit. Irgendwann ist einem alles egal, und ich gäbe
viel dafür, wenn sich diese Schwelle bei mir endlich mal stark absenken ließe.
    Trotzdem bin ich froh, hier zu
sein, mit Ella, mit Paul. Was schon als mittelgroßer Triumph zu verbuchen ist,
denn ich hätte nicht gedacht, dass Ella ja sagt, als ich sie fragte, ob wir mit
Paul zum Dorffest gehen wollen. Zum Dorffest! Noch vor einem Monat wäre mir das
nicht im Traume eingefallen. Nun ja, die Dinge ändern sich. Paul hatte mich
gestern nach der großen Pause, als es schon geklingelt hatte und wir gen
Eingang schlurften, gefragt: »Wir gehen zum Fest morgen?«, es klang mehr wie
die Wiederholung einer bekannten Tatsache, und ich bloß: »Welches Fest?« Mir
wäre auch nie eingefallen, das Dorffest als >Fest< zu bezeichnen, die
Betonung liegt auf >Dorf<. Die Betonung liegt auf G oldkrone . Aber ich wusste, es wäre
sinnlos gewesen, Paul das ausreden zu wollen, er wäre auf jeden Fall
hingegangen, so weit kenne ich ihn immerhin schon. Mir blieb wieder nur, mich
zu wundern, woher er eigentlich diese Unerschrockenheit, diese
Nichtabschreckbarkeit nimmt. Sie hat eindeutig was mit der Offenheit zu tun.
Als wäre er nicht ganz von dieser Welt. Aber zum Grübeln würde ich hinterher,
im großen grauen Danach, noch genug Zeit haben, und weil das in naher Zukunft
ist, sagte ich ohne Überlegen na gut. Nach der Elpe war ohnehin kein Platz mehr
für Zimperlichkeit. Und vielleicht hat Ella was ganz Ähnliches gedacht,
vielleicht wollte sie nicht noch einen Abend allein zu Hause am Fenster stehen.
Vielleicht machte es ihr mehr aus, als ich dachte. Und Paul: hatte rundheraus
abgelehnt, als Beate und die anderen ihn in derselben großen Pause, und zwar
noch vor meiner Zusage, gefragt hatten, ob er heute Abend mit zur Disco nach
Schmalditz käme. Allein das war mir schon Genugtuung sondergleichen, zumal sie
es natürlich gar nicht erst für angebracht gehalten hatten, etwa auch mich zu
fragen. Und dann, wie er es tat! Das euphorisierte mich dermaßen, dass ich
dachte, es würde für die nächsten drei Jahre reichen oder mich zumindest den
Rest der Schulzeit in einer goldenen Gemütsruhe und lächelnden
Bedürfnislosigkeit überstehen lassen. Dass dem nicht so ist, merke ich
Wankelmütige zwar schon einen Tag später, aber dieser Moment wird mir bleiben:
wie er einfach nein sagte. Nur: »Nein«, nichts weiter. Und sein »Ja«, als sie
ihn daraufhin fragten, ob er schon was Besseres vorhabe. Das muss auch sie
derart beeindruckt, fast eingeschüchtert haben, dass sie nicht mal wissen
wollten, was. Keine Ahnung, was er dann gesagt hätte. Aber keine Minute später
wusste ich, dass er lieber mit mir zum Dorffest geht, und ich konnte mich nur
nicht entscheiden, ob nun die Konkurrenz damit seine tiefste Missachtung oder
ich seine höchste Gunst geerntet hatte. Und wie immer, wenn ich mich nicht
entscheiden kann, nehme ich beides.
    Ich winke Mama und Papa zu,
die sich haben breitschlagen lassen, die Fressalien zu verkaufen, das heißt,
Mama hat sich wie üblich verpflichten lassen, um nicht zu sagen
selbstverpflichtet, und dann Papa so lange zugesetzt, bis er sich bereitfand,
den Grill zu übernehmen.
    »Wollt ihr ne Wurst?«, ruft er
uns zu, ich glaub, er freut sich sehr, uns zu sehen, was mir irgendwie
überhaupt nicht passt. Dass er seit geraumer Zeit auch die Meinung vertritt,
ich müsste mehr unter Leute, von der er auch noch glaubt, es sei seine eigene.
Ich schüttle den Kopf und muss an neulich denken, als Ellas Vater bei uns in
der Küche saß und mit Papa gesoffen hat, so sah das jedenfalls aus. Ich wusste
nicht, was ich seltsamer fand: ausgerechnet den bei uns sitzen zu sehen, mit
dem Papa sonst gar nichts zu tun hat, oder festzustellen, dass zwar der, aber
nicht Papa besoffen war. Irgendwas stimmte doch da nicht. Dass Papa mir dann
auch noch was anbot, »Wist n Schnaps?«, nahm ich geradezu als Beweis. Trotzdem
war auch plötzlich in dem Moment alles so richtig zwischen uns wie schon lange
nicht mehr. Für ein paar Sekunden hatte ich den Eindruck, dass wir uns zum
ersten Mal als zwei selbständige Menschen betrachten, die sich zufällig recht ähnlich
sind.
    Paul hat sich eine Wurst
geholt, das Geld dafür hat Papa entschieden zurückgewiesen. Keine Ahnung, was
er von ihm hält,

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