Zander, Judith
Außerdem, da war der auch schon drei oder so,
dreiundsiebzig war das, da hat sie wohl schon die Schnauze voll gehabt. Von
allem, denk ich ma. Die musste ja inne Landwirtschaft ... Sag ma, Friedhelm,
haste vielleicht ma n Schnaps?«
»N Schnaps? Na, höchstens
Braunen. Ja?«
Er springt sofort hoch und
geht nach nebenan. Hat er wohl bloß drauf gewartet. Ich kann mir jetzt aber
keinen ansaufen mit ihm. Er stellt die Gläser hin und kippt ein. Na, nu wirds
gemütlich. »Prost!«
»Aber, wann seidn ihr da
ausser Schule gekommen, hat die den noch zu Schulzeiten gekriegt? Da hat
Elisabeth, glaub ick, damals gar nix von erzählt.«
Elisabeth! Genau! So hieß die,
seine Schwester. Elisabeth, komisch, genau wie Ella. Dass man das so vergisst.
»Sag ma, was macht die jetzt
eigentlich?«
»Hm, wer? Achso. Na die wohnt
jetzt bei Bremen, Elisabeth. Die sind damals alle gleich nach Oberwiesenthal,
in die Spinnereien, dat lief ja ganz gut zu DDR-Zeiten, da haben die uch lange
gewohnt, die haben nachher uch schon so gequatscht, so wie die
Schluchtenjodler. Da war die schon mit Bernd zusammen, dat musst du ja noch
mitgekriegt haben, den hat die denn uch geheiratet. - Und die, Ingrid, hatte
die uch einen von euch, oder wer war da der Vadder?«
»Wusste doch keiner! Mensch,
Friedhelm, du kannst dir gar nich vorstelln, was da los war! Das hat doch noch
keiner geahnt, zuerst, bei den Prüfungen hat man ihr ja noch gar nix angemerkt,
und denn haben sich erst mal alle verkrümelt, und Ingrid haste sowieso nie
gesehn. Aber wie sich das dann rumsprach, so im Herbst, Ingrid rennt mitm
dicken Bauch, na, da haben aber n paar ganz fix gerechnet, da wurd sich denn
erst ma ne Zeitlang schief angeguckt auffer Disco, aber mehr so aus Jux.
>Gib ma ruhig zu, dat du da dran warst!< und solche Sachen, aber richtig
geglaubt hat das keiner, das war einfach n Unding, Mann, dass Ingrid mit einem
von uns, na, aber du kennst die nich. Das war wie das achte Weltwunder gewesen,
wars ja auch. Hätt das einer zugegeben, ich mein, einer von uns: keine Ahnung,
was dann passiert war. Nie hätt das einer zugegeben! Der war sofort unten durch
gewesen. War eben so. Obwohl mir auch keiner erzählen brauch, dass er nich
bisschen scharf auf die war, gut sah die ja aus, so auf ihre Art, aber die war
ja son totales Rühr-mich-nich-an. Deswegen, hätt auch genauso passieren können,
man hätt dem auffe Schulter gekloppt, aber eher nich, und schon gar nich mit
schwanger hinterher. Nee, da wusst keiner was. Und die hat nix gesagt, keinen
Piep! Keine Ahnung, wieso. Und da war denn natürlich die Gerüchteküche am
Brodeln, da könnt das ja nur was total Perverses sein. Wie, dass das ihr Bruder
war, Peter, na, ist ja nich ihr richtiger Bruder, aber trotzdem, das reichte
schon. War mir auch egal. Wusste eh keiner was.«
»Vielleicht wusst die das
selber nich.« Er lacht.
Ich sag: »Doch. Das wusste
die.«
»Na, weißt nich, stille
Wasser, manchma ...«
»Hör uff, Mann! Die war nich
so eine, Ingrid nich. Die hätt nich ma Roli, dem die alle hinterhergehechelt
sind, die Weiber, nee, nich ma Roli, weißt, Roland, der Schöne Roland, wie sie
immer gesagt haben, Möllrich, der Sohn vom Bürgermeister. - Aber Roli, Mann!
Und keiner wusst was! Friedhelm! Hast nich noch n Schnaps?«
»Ja, klar.«
Das Glas gießt er randvoll und
stellt mir die Flasche vor die Nase. Ich guck auf seins. »Haste da nich was
vergessen?«
Er schüttelt mitm Kopp. »Nee,
ick nich.«
»Nu mach keine Spirenzchen,
Friedhelm! Du kannst mich doch jetzt nich alleine, na, nu komm!«
Er schüttelt mitm Kopp. Na, nu
reichts. Steh ich ja wien Säufer da. Ich nehm die Flasche und kipp ihm einen
ein.
»Hartmut!«, sagt er. »Pass ma
uff: Entweder du willst, dat ick mich zusauf - oder, dat ick dir zuhör!«
»Mann, Friedhelm! Du hast doch
keine Ahnung! Das kann man gar nich ohne Saufen ertragen!«
Er guckt mich an. »Ick schon.«
Auf ex. Teufelszeug. Treibt
einem bald die Tränen inne Augen. Aber wenn man nu schon so beschissen dran ist
wie unsereiner. »Mann, Friedhelm! Du weißt gar nich, wie gut du das hast!«
»Wieso?«
»Keiner hat das gewusst, Mann!
Kein Schwein! - Außer ich.«
»Was: außer du?«
»Na, keiner! Bloß - ich! Ich!
Verstehste?«
»Du?«
»Na, nee, also, nich, was du
denkst.«
»Achso? Wat denk ick denn?«
»Friedhelm, Mensch, das denkst
du doch nu nich, oder? Dass ich - dass ich der Vater von Henry bin, das denkst
du doch nich etwa?«
»Hab ick doch gar
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