Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
und so exotisch wie ein seltener Vogel, in engen Wollhosen, einem Hemd, das wahrscheinlich einmal weiß gewesen ist, und einer scharlachroten Lederweste mit silbernen Schnallen. Seine Hände sind am Knauf seines Sattels festgebunden.
Als ich seine kurzen Haare sehe, die goldenen Ringe in seinen Ohren, die für den Norden typischen Stiefel, die ihm bis übers Knie reichen – als ich die Schwertscheide sehe, die leer und nutzlos von seinem Gürtel baumelt –, durchzuckt mich ein solcher Schreck, als hätte mir jemand plötzlich mit eiskalter Hand in den Nacken gefasst. Die Bücher in der Bibliothek meines Vaters haben mich bestens vorbereitet. Ich weiß, was für eine Spezies ich mit offenem Mund anstarre. Das ist ein Erschaffer! Mein Vater hat einen Erschaffer gefangen nehmen und ihn nach Asphodel bringen lassen!
So etwas hat es noch nie zuvor gegeben. Magier nehmen Erschaffer nicht gefangen – sie töten sie. Ich träume schon seit Langem davon, einem von ihnen zu begegnen, aber wenn ich es mir ausmale, passiert es immer in einer weit entfernten Zukunft. Einer Zukunft, in der ich mit meinem Vater abgerechnet habe. Einer Zukunft, in der ich frei bin, um an Swifts Stelle die geplante Reise zu unternehmen und das Land zu besuchen, in dem sie das hätte werden können, wofür sie bestimmt war. Nie hätte ich mir vorgestellt, dass ich meinen ersten Erschaffer hier sehen würde, im Hof des Palasts meines Vaters.
Als ich zwischen den schnaubenden Tieren hindurchspähe, springt mir das Herz fast in die Kehle. Dieser Erschaffer kann nicht älter als sechzehn oder siebzehn sein. Er sitzt aufrecht auf seinem Pferd und hat trotzig das Kinn gereckt. Seine kurzen Haare müssten eigentlich den für die Bewohner des Nordens üblichen flachsblonden Farbton haben, doch Staub und Schweiß haben sie dunkel gefärbt. Der Blick seiner strahlend blauen Augen in dem dreckverschmierten Gesicht ist finster und ruhelos. Auf einer Seite sind seine Lippen aufgeplatzt und geschwollen, und auf seiner Wange leuchtet ein violett-gelber Bluterguss. Der Junge mustert die den Hof umgebenden Gebäude mit zusammengekniffenen Augen, ohne die sich widerstreitenden Gefühle aus Staunen und Angst verbergen zu können.
Ich sehe ihn unverwandt an und spüre, wie der Atem meinen Körper verlässt. Nichts an diesem Jungen mit seinen vor Dreck starrenden Haaren, den blitzenden Augen und dem zerschrammten Gesicht ist schön, aber ich spüre seine Seele, und die ist ungestüm und frei. Er erinnert mich an den Falken.
Unfähig, den Blick abzuwenden, beobachte ich, wie Otter den Erschafferjungen losbindet und ihm eine Hand hinstreckt, um ihm aus dem Sattel zu helfen. Aber der ignoriert ihn, schwingt ein Bein über den Rücken seines Pferds und springt selbst herunter. Als er auf dem Boden aufkommt, stolpert er, wird kurz rot, hebt dann aber wieder stolz den Kopf und blickt starr geradeaus, während Otter ihn am Arm packt und Richtung Palast führt.
Das Letzte, was ich von ihm erhasche, sind schmutzige blonde Haare und seine scharlachrote Weste, die zwischenden ganz in Leder gekleideten Wächtern aufblitzt, während sie ihn die Stufen hinaufeskortieren. Ich schaue mich noch einmal auf dem Hof um, sehe, wie die Pferde zu den Ställen gebracht werden, beobachte das geschäftige Treiben und nehme doch nichts davon wahr, spüre nur ein seltsames Ziehen in meinem Herzen.
Meine Aufregung darüber, neue Informationen für die Erkenntnissuchenden zu haben, ist verflogen. Ich kann an nichts anderes mehr denken als an diesen Jungen. Was auch immer mein Vater mit ihm vorhat, es kann nur tödlich für ihn enden. Ich will ihn retten. Wie dumm von mir – ich bin ja noch nicht einmal in der Lage, mich selbst zu retten.
5
N achdem das letzte Pferd weggeführt wurde, bleibe ich allein zurück. Die Sonne versinkt hinter den Bergen und einen Wimpernschlag später sind auch Licht und Wärme verschwunden. Der über den Hof streichende Nordwind trägt die entfernten Geräusche der Stadt herüber, während ich, reglos wie eine der mit Moos bewachsenen alten Statuen in den Mauernischen, dastehe und zusehe, wie die Palastfenster zum Leben erwachen. Mein Blick ist auf ein ganz bestimmtes geheftet. Als dahinter Kerzenlicht aufflackert, hole ich tief Luft und frage mich, ob ich mutig genug bin, es zu wagen.
Ein Spion sollte niemals überstürzt handeln, sondern stets vernünftig und überlegt vorgehen. Doch statt mich zurückzuziehen und in Ruhe meine nächsten Schritte
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