Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
mich tausendmal lieber meinem verhassten Tutor gestellt hätte. Weiß Benedict, dass ich gelauscht habe? Hat er absichtlich abgewartet, um mich in Sicherheit zu wiegen, bevor er gnadenlos zuschlägt? Oder ist es noch schlimmer? Hat Gerontius am Ende doch irgendetwas Belastendes zurückgelassen?
Ich bin eine Spionin. Angst ist Teil der Luft, die ich atme, aber jetzt schnürt sich mir vor Furcht die Kehle zu.
»Wo ist Seine Lordschaft?«
»In seiner Bibliothek, Lady.« Das Mädchen macht erneut einen tiefen Knicks und verschwindet dann so schnell wie ein aufgeschrecktes Kaninchen.
Eine ganze Minute lang stehe ich da und starre wie blind vor mich hin, bis mein Geist sich entwirrt und ich wieder logisch denken kann. Wenn Benedict von meiner Ketzerei wüsste, hätte er Meistermagier und Wächter geschickt, aber kein Tribut-Kind.
Als ich die Stufen hochgestiegen bin und den Korridor zur Bibliothek entlanggehe, hat mein Atem sich wieder beruhigt und meine Hände haben aufgehört zu zittern. Der Wächter öffnet die Tür, als ich näher komme, und ich betrete den Raum, ohne meinen Schritt zu verlangsamen. Mein Vater ist allein, er sitzt an seinem Schreibtisch und sieht gerade einen Stapel Papiere durch. Ohne den Blick zu heben, wedelt er mit einer Hand in meine Richtung und befiehlt mir stumm zu warten. Ich bleibe so weit entfernt von ihmstehen, wie ich es wage, während mein Blick wie immer den Briefbeschwerer sucht.
»Zara?«
Ich zwinge mich, hochzuschauen. Benedict unterzieht mich einer aufmerksamen Musterung und es kostet mich meine ganze Selbstbeherrschung, ein ausdrucksloses Gesicht zu bewahren.
»Ja, Vater?«
»Gerontius.« Er lässt mich nicht aus den Augen.
Ich schaffe es, unbewegt zu bleiben. Es geht also nicht um den Erschafferjungen. Ist das gut oder schlecht? Mein Gesicht fühlt sich an wie eine lederne Maske. »Ja?«, frage ich.
»Er ist einer deiner Tutoren gewesen.«
»Er hat die meisten von uns unterrichtet. Ich nehme an, er hat auch Euch unterrichtet, als Ihr in meinem Alter wart.« Zügle dich, Zara!
Benedict übergeht den Einwurf mit der ihm eigenen Unbeirrbarkeit. »Was erzählen sich die Schüler über sein Verschwinden?«
»Lediglich das, was zu erwarten war.« Ich höre die Verachtung in meiner Stimme. Noch ein Fehler, aber ich kann anscheinend nicht anders. Der Verlust, den ich erlitten habe, schmerzt immer noch wie eine offene Wunde, und die Wut darüber verdrängt die Angst und lässt mich unvorsichtig werden. »Es geht das Gerücht, der alte Mann hätte den Pfad zu ewigem Leben gefunden.«
»Und du glaubst das nicht?« Er sieht mich lauernd an. »Oder ist es die Existenz des Pfads selbst, die du bezweifelst?«
Ich bewege mich an der Grenze zur Ketzerei, das wissenwir beide. Aber schließlich siegt die Vernunft und ich wähle meine Worte mit Bedacht. »Gerontius war alt und verschroben. Jeder wusste, was für ein Exzentriker er war. Nein – ich glaube nicht, dass er etwas anderes gefunden hat als den Tod.« Ich lege so übertrieben viel Verachtung in meine Stimme, dass es meinem Vater eigentlich auffallen müsste. Doch seine Züge entspannen sich und er lehnt sich zurück.
»Das ist alles? Nichts weiter? Keine Gerüchte über ungewöhnliche … Ansichten?«
Ich schüttle stirnrunzelnd den Kopf, als wäre ich verwirrt.
»War ihm jemand besonders ergeben? Gibt es Schüler, die er bevorzugt hat?«
Darum geht es also. Mein Vater hat mich schon des Öfteren über meine Mitschüler ausgehorcht. Er weiß, dass eines Tages der Ruf nach Veränderung kommt und er von den Jungen ausgehen wird. Mich durchfährt ein kalter Schauer und zugleich das verrückte Verlangen, laut aufzulachen. Mein Vater verachtet mich, er hält mich immer noch für ein neunjähriges Kind, das zu schwach ist, sich ihm zu widersetzen. Wie gern würde ich sein Gesicht sehen, wenn ich ihm sagte, dass ich diejenige bin, die Gerontius besonders ergeben war und dass ich ihn eines Tages zerstören werde, um die zu rächen, die er mir genommen hat.
»Nein, Vater«, erwidere ich ruhig. »Alle haben sich über Gerontius stets nur lustig gemacht. Es war respektlos, aber nicht weiter verwunderlich. Er war ein alter Narr, den niemand mehr ernst nehmen konnte. Er hätte sein Amt als Lehrer schon vor Jahren niederlegen sollen.«
Vergib mir, alter Freund!
Mein Vater erhebt sich von seinem Schreibtisch und gehtzu dem heiligen Schrein. Er öffnet die Tür aus beschlagenem Rosenholz und betrachtet die in dem Kästchen liegende
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