Zarias Geheimnis
mir immer versichert, dass Menschen sie auf dem Gewissen hätten.
Aber je länger ich darüber nachdachte, umso mehr kamen mir diese Geschichten wie Ammenmärchen vor, die man erfunden hatte, um einem verwaisten Kind ein schreckliches Unglück erklären zu können.
Warum sollten mein Vater, den selbst Lily als einfallsreich bezeichnet hatte, und meine Mutter, eine blaue Elfe mit einem Zauberbuch voller fortgeschrittener Magie, auf der Erde Opfer bösartiger Menschen geworden sein? Mein Bruder war auch nicht gerade auf den Kopf gefallen!
Vielleicht war es ja völlig falsch, Menschen für ihr Verschwinden verantwortlich zu machen? Was war, wenn Jett, Gilead und Cinna Turmalin entdeckt hatten, dass Lily Morganit Radia stahl, und versucht hatten, sie aufzuhalten?
Lilys Perlmutt-Augen kamen mir in den Sinn, und ich hörte ihre süße, verlockende Stimme: »Du willst wissen, was deiner Familie zugestoßen ist. Natürlich möchtest du das. Und ich kann es dir erzählen, Zaria. Die ganze Geschichte.«
Ich schenkte dem Tumult um mich herum keine Beachtung, während mein gequälter Verstand denselben Gedanken immer wieder und wieder durchspielte: Lily Morganit hatte meine Familie verschwinden lassen.
Leona hatte gesagt, ich hätte Lily verjagt. Das stimmte, jedoch nur, weil ich das Glück gehabt hatte, sie in einem unachtsamen Moment zu erwischen. Aber was jetzt? Wie viele Radia hatte sie noch in Reserve? »Mehrere Millionen« , hatte Wolframit gesagt.
Ich öffnete den Deckel meines Zifferblatts, um den Stand meiner Vorräte zu überprüfen. Was ich sah, erschütterte mich. Der winzige goldene Zeiger hatte sich um einen ganzen Grad bewegt. Er zeigte auf die Markierung knapp unter neun Millionen Radia.
In weniger als einem Tag hatte ich eine Million Radia-Einheiten verbraucht!
Ich dachte angestrengt nach. Seit ich den Zeigerstand an meiner Uhr das letzte Mal überprüft hatte,hatte ich die Mauer errichtet, um den Saal vom Podium abzutrennen, und den blauen Vorhang verzaubert. Das müsste mich etwa fünfhundert Radia gekostet haben. Die Zauber, um die geschichtete Magie offenzulegen, die Leona und die Ratsmitglieder in ihrem Bann gehalten hatte … ein Schutzzauber gegen geschichtete Magie für Andalonus …
Selbst all das zusammengerechnet, konnte diesen großen Sprung nicht erklären.
Was hatte ich noch getan?
Die indigoblaue Flasche in meiner Tasche fühlte sich auf einmal noch schwerer an. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass es wohl großer Mengen Magie bedurft hatte, den Troll-Mantel zu Staub zerfallen zu lassen. Knapp eine Million Radia.
Ich hatte all diese Magie unabsichtlich und ohne meinen Zauberstab zu benutzen herbeigeführt.
Aber wie?
Mein Kopf fing an zu schmerzen, als mich plötzlich Meteor umarmte und mit seinen funkelnden smaragdgrünen Augen anstrahlte.
»Wir haben es geschafft«, sagte er. »Wir haben es geschafft!«
Verwirrt entzog ich mich seinen Armen. Er beugte den Kopf vor, und sein Lächeln verschwand. »Freust du dich denn nicht? Wir werden freigesprochen. Und der Hohe Rat wird Lily Morganit ächten.«
»Natürlich freue ich mich«, erwiderte ich müde.
Ich beobachtete, wie Leona und Andalonus vorTatendrang und Freude überschäumend den Ratsmitgliedern ihre Zauberstäbe aushändigten.
Der Hohe Rat wirkte weniger begeistert.
Meteor legte mir einen Finger unters Kinn. »Du bist erschöpft«, sagte er.
Ich seufzte. Ich würde ihm später meine Überlegungen anvertrauen. Später, wenn ich ihre Bedeutung erfassen konnte.
»Nun«, erklärte Magistria Magnetit, »das war ein ergiebiges Treffen. Aber jetzt hat der Hohe Rat noch einiges zu tun … und ihr jungen Leute solltet euch ausruhen.«
Sie erhob sich stolz von ihrem Hochsitz. Als sie gefolgt von den anderen Ratsmitgliedern und Renclair auf den Vorhang zuschwebte, schwenkte ich meinen Zauberstab.
»Der Ausgang ist offen«, murmelte ich.
Sie beachteten mich ebenso wenig wie die schlafenden Radia-Wachen, aber Meteors grüne Augen musterten mich neugierig.
Andalonus gähnte laut. »Gehen wir nach Hause.«
Nach Hause. Die Wörter schallten in meinem Herzen. Wie konnte ich allein in mein leeres Zuhause zurückkehren? Da war keine Beryl, um mich zu begrüßen. Beryl würde nie wieder dort sein. Jetzt, da ich begriffen hatte, wie sehr sie mich geliebt hatte, war sie tot. Ermordet. Tränen drohten mich wieder zu überwältigen. Ich schluckte sie herunter.
Andalonus blickte betroffen. »Entschuldige, Zaria. Ich habe nicht an Beryl
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