Zaster und Desaster
der es sich gewohnt war, am Telefon nie Namen zu nennen, »darf ich Sie zur Sicherheit um eine Identifikation bitten?«
»Trittst im Morgenrot daher, 7659«, erwiderte Hugentobler, »ich hätte da einen Auftrag für mein Treuhandkonto Semper fides, eine Bestätigung wird Ihnen heute noch von den Bahamas gefaxt. Investieren Sie, Valuta heute, eine Million CHF in EBS-Aktienoptionen, leer, ich wiederhole, leer, Leverage zehn, Zeithorizont drei Tage. Ein Bankcheck geht heute per Boten an Sie ab.«
»Ich wiederhole«, sagte Walthinten geschäftsmäßig, »für eine Million EBS-Aktienoptionen, leer, Valuta heute, Ankauf in drei Tagen, Fremdkapital 10 Mio.«
»Und für den Ratschlag, dass Sie das Gleiche tun sollten, zwischenfinanzieren Sie den Betrag, bis der Check validiert ist und verzichten auf Ihre übliche Kommission, okay?«
»In Ordnung«, sagte Walthinten ohne zu zögern, »freut mich immer, mit Ihnen Geschäfte zu machen.«
Hugentobler legte auf und dachte: Wenn die Bombe platzt, dass die EBS Krach mit der amerikanischen Regierung hat, weil sie jahrelang amerikanischen Steuerbetrügern geholfen hat, dann saust die Aktie bestenfalls um 30 Prozent in den Keller, was bei einer Hebelwirkung von zehn aus seiner Million in drei Tagen vier machen würde. Herrliche Zeiten, dachte Hugentobler und betrachtete ein letztes Mal die Passanten auf der Bahnhofstrasse, während er durch die wuchtigen Säulen in den Haupteingang der EBS spazierte, wenn ihr Deppen wüsstet. Allerdings, dachte Hugentobler, wenn die EBS-Aktie nicht wie erwartet in den Keller geht, sondern der Handel eingestellt wird, weil die Pannenbank hops geht, dann habe ich ein kleines Problem. Aber no risk, no fun, das war schon immer meine Devise als Banker.
Hugentobler hatte sich gerade die Krawatte gelockert und die Füße auf seinen lederbezogenen Regency-Schreibtisch gelegt, als sein Telefon klingelte. Wahrscheinlich verdiene ich gleich wieder eine Million, dachte Hugentobler, das habe ich im Urin. »Hugentobler, dringendes Meeting in fünf Minuten«, dröhnte die Stimme seines COO aus dem Hörer.
He, wir Banker können doch in die Zukunft schauen, staunte Hugentobler, das nimmt hier ja langsam Formen an. Können unsere Pfeifen denn nicht mal eine Woche vorbeigehen lassen, ohne wieder in ein neues Riesenschlamassel zu geraten? Gerade erst hat doch unsere geschätzte Landesregierung in einer Nacht-und-Nebel-Sitzung beschlossen, meine geschätzte Bank höchstamtlich anzuweisen, 244 Kontodaten von amerikanischen Schwarzgeldakrobaten der US-Regierung zu übergeben. Damit haben wir es immerhin in kürzester Zeit geschafft, das Schweizer Bankgeheimnis zu schleifen, mit dem wir uns über siebzig Jahre lang dumm und dämlich verdient haben. Und nebenbei kommt unsere Buchhaltung kaum damit nach, Konten von erschreckten Anlegern zu saldieren, die ihr Geld im Multipack abziehen. Schlimmer kann es ja eigentlich nicht werden. Besser allerdings auch nicht, dachte Hugentobler dann, wenigstens für mich, denn die EBS-Aktie war erwartungsgemäß auf unter zehn Franken gefallen, womit sein kleines Spekulationsgeschäft einen satten Gewinn von rund drei Millionen Franken eingefahren hatte. Also eigentlich könnte ich jetzt aus meinem Büro rausspazieren und mich hier nie mehr blicken lassen.
Aber seine Neugier siegte dann doch, und er setzte sich pünktlich und erneut vor den Schreibtisch des COO, der allerdings einen leicht derangierten Eindruck machte; die Krawatte saß etwas schief, und an seinen Händen hatte er Flecken von der grünen Cheftinte. Sein Haar fiel ihm noch wirrer als sonst in die Stirn, und über tiefen Augenringen blickte Hugentobler ein blutunterlaufenes Augenpaar an.
»Na«, sagte Hugentobler mit der Lässigkeit eines Mannes, dem niemand mehr etwas konnte, »was ist denn jetzt wieder los? Haben wir den Schlüssel zu unserem Safe verloren? Oder wurden Sie wie Herr Mopsel aus der Juwelenhalle gebuht?«
Der Chief Operating Officer wies Hugentobler nicht zurecht, sondern sagte matt: »Wir waren ja zusammen mit unserer Landesregierung davon überzeugt, dass die Herausgabe von 244 Kundendaten als Zeichen des guten Willens und als präzedenzlose, einmalige Aktion die bedauerliche Missstimmung zwischen der US-Regierung und unserer Bank bereinigen würde.«
»Genau«, erwiderte Hugentobler, »damit haben wir uns allerdings die Missstimmung von ein paar Tausend weiteren Kunden eingehandelt, die schwuppdiwupps ihre sämtlichen Einlagen abräumten. Muss ich
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