Zaster und Desaster
abstellte, damit Hinderli sich wenigstens aus seinem Pelzmantel schälen konnte, bevor er unter die noch knirschenden Bettlaken kroch.
Genauso unterkühlt und zähflüssig war aber in den nächsten Wochen der Geschäftsgang. Der Ölpreis war gerade in den Keller gekracht, und Josef hatte immer häufiger bedenklich mit dem Kopf gewackelt, wenn Hinderli ihn fragte, ob er einen Besuch bei einem seiner vielen Klienten machen sollte, die wissen wollten, wieso sich trotz bombensicherer fürstlicher Anlagestrategie zwanzig oder dreißig Prozent ihres überlegen angelegten Vermögens in Liechtenstein in Luft aufgelöst hatten. Von Neugeschäften konnte keine Rede mehr sein. Busperli steigerte die Frequenz seiner Anrufe rasant, und nach einem Monat wollte er schon täglich wissen, wie Hinderli denn die Underperformance aufzuholen gedenke, nachdem im ganzen Januar null, nada, nix in die fürstliche Schatulle geflossen war.
Und Ende Februar war Josef unangemeldet aufgetaucht: »Bad news, towarisch«, hatte der geseufzt, »das wäre unter Väterchen Stalin nicht möglich gewesen. Bin entlassen, und du auch.«
»Was«, stammelte Hinderli fassungslos, »und das teilt man mir so mit?« Josef schnaufte auf, das empfand er offenbar nicht als Ausdruck der Völkerfreundschaft. Wortlos nahm er den Ölschinken aus der fürstlichen Sammlung von der Wand und marschierte zur Türe. Doch dann überlegte er es sich anders, stellte Bild und Kalaschnikow ab und umarmte Hinderli. Der roch zum letzten Mal Zwiebeln und Wodka und spürte, wie ihn Josefs Stoppelbart an der Wange kratzte: »Der schönste Tisch ist ohne Essen nur ein kahles Brett«, zitierte Josef ein kasachisches Sprichwort, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge und verschwand. Hinderli zückte sein Handy.
»Ach, war Herr Busperli wieder zu beschäftigt, Herr Hinderli«, antwortete seine Sekretärin Hinterbühler, »ja, da hilft alles nichts. Sie sind per sofort freigestellt, die Wohnung ist bis 1. März zu räumen, und, ach ja, der Kontrakt für das Handy läuft morgen aus.«
»Freigestellt, ja wie stellen Sie sich das vor? Und der Umzug und der Rückflug und wie weiter?«
Einen Moment lang knisterte es nur in der Leitung, dann antwortete Frau Hinterbühler: »Nun, das sind ja nicht meine Probleme. Aber wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben darf: Wenden Sie sich doch an das zuständige Arbeitsgericht in Astana, Ihr Anstellungsvertrag ist ja nach kasachischem Recht ausgestellt.«
Meinte das Hinderli nur oder war da eine leichte Ironie mitgeschwungen, bevor die Verbindung unterbrochen wurde?
Trübselig starrte Hinderli auf die leere Wand. Auf der orangebraun gemusterten Tapete hatte das Bild bereits einen hellen Fleck hinterlassen. Das kann doch alles nicht Gottes Wille und erst recht nicht der Wille des Fürschten sein, dachte Hinderli. Und zum ersten Mal in seinem Leben betrat er eine russisch-orthodoxe Kirche und zündete so viele Kerzen an, wie er vor dem Opferstock fand. Aber das nützte ihm auch nichts mehr.
Vierundvierzig
Wenn ich einem reichen Deppen eine Umschichtung seines Depots, angesichts der Verwerfungen auf den Finanzmärkten, aufs Auge gedrückt habe, stellte ich das aber geschickter an, dachte Äbersold.
Aber das nützte ihm gar nichts, denn er saß Frischknecht gegenüber, Leiter Task Force Repositioning, ein Euphemismus für Entlassungen, Sparmaßnahmen, Downscaling oder wie das auch immer hieß, wenn eine verfettete Bank abspecken musste. »Im Rahmen unserer teilweise schmerzlichen Adjustierungen und einer Repositionierung angesichts der aktuellen Verwerfungen …«
Aber da wurde es Äbersold doch zu blöd: »Okay, wenn ich gefeuert werde, dann können Sie sich das Geschwafel sparen, wenn nicht, dann verschwenden Sie nicht unsere Zeit und kommen Sie zur Sache.« Frischknecht ordnete ein paar Papiere vor sich und starrte in den Bildschirm seines Laptops, denn er wie eine Verteidigungslinie vor sich aufgeklappt hatte. »Springen Sie einfach im Wording, das Sie runterlesen, von Einleitung zu den Bullettpoints, die Inhalt haben«, half ihm Äbersold.
Frischknecht kratzte sich etwas hektisch an einem Pickel, der seinem Image als scharfer Controller mit Aufstiegschancen, schlecht sitzendem Boss-Anzug und etwas zu aufdringlichem Aftershave im Wege stand, aber dann scrollte er brav runter und fuhr fort: »Wir müssen Ihnen leider eine Neuorientierung bei den Fringe Benefits bekanntgeben. Auslandsreisen sind grundsätzlich nicht mehr Business, unser
Weitere Kostenlose Bücher