Zaster und Desaster
ist einem näher als die Hose, oder gilt das in der Schweiz nicht?«, hatte Joe gefragt, und eine Stunde später ergänzte Fischer seine Karriere als aufstrebender Schweizer Banker durch eine Anstellung als Mitarbeiter des IRS, der Steuerbehörde der Gringos. Keine großen Aufstiegschancen, hatte Joe gesagt, keine Fringe Benefits, kein Pensionsanspruch. Aber zeitlich befristet, vielleicht ein halbes Jahr maximal, und das hier ist eine Presidential Order, hatte Joe wichtig verkündet und ein Papier mit einem beeindruckenden Siegel hervorgezaubert, »das sichert Ihnen Immunität für alle vergangenen und zukünftigen Untaten zu. Feine Sache, besser als ein Schweizer Pass.«
Also telefonierte Max Fischer brav seine Ami-Kunden durch, dinierte anschließend mit einem Potential, der immerhin acht Millionen zusätzlich auf sein bereits prall gefülltes Konto bei der EBS in Zürich schaufeln wollte, im Masa und fluchte innerlich, als er die beeindruckende Rechnung von 1600 Dollar für ein paar rohe Fischstücke auf klebrigem Reis, zwei »Showcase Yuzu«-Cocktails und ein paar Schluck Sake beglich.
Aber sein Klient war beeindruckt: »Wie haben Sie hier nur einen Tisch gekriegt, das probiere ich schon seit Monaten.«
»Ach wissen Sie«, sagte Fischer wegwerfend, »es gibt wenig, was ein Schweizer Banker nicht kann.« Dass dazu auch gehörte, dass er das Gespräch mit einem hemdknopfgroßen Mikrofon aufnahm, erwähnte er allerdings nicht.
Am Donnerstagabend stieg Fischer in den Flieger nach Zürich. Joe hatte ihn höchstpersönlich zum Flughafen gefahren, um ihm noch die letzten Instruktionen mit auf den Weg zu geben. »Und vergessen Sie nicht, Max, unser Arm ist lang«, verabschiedete sich Joe mit einem Grinsen, »Sie können vielleicht wegrennen, aber Sie können sich nie vor uns verstecken, okay?« Das hatte Fischer noch im Ohr, als er am Freitag vor 14.00 h Wieland anrief, um dem Leiter Special Services der EBS einen ersten Rapport zu erstatten.
»Na, im Amiland alles easy«, fragte Wieland jovial wie immer.
»Keine besonderen Vorkommnisse«, erwiderte Fischer tapfer.
Zweiundvierzig
»So, so«, sagte Dr. Moser, »da müssten wir dann vielleicht von Zoplicon auf ein Benzodiazepin umstellen, diese Schlafmittel wirken zusätzlich auch noch angstlösend. Allerdings sollten wir dann, nachdem die aktuell etwas anstrengenden Zeiten im Banking vorbei sind, langsam wieder an ein Ausschleichen bis zum vollständigen Absetzen des Präparates denken, vielleicht am besten im Zusammenhang mit einer Kur. Und wie ist das sonstige Befinden?«
Moser wusste, was nun kommen würde, und lehnte sich bequem zurück. Als Dr. Feelgood für die Zürcher Bahnhofstrasse musste er sich schon gelegentlich selbst aus seiner wohlgefüllten Sammlung von Ärztemustern bedienen. Obwohl er seine Praxis zwölf bis vierzehn Stunden täglich und sechs, manchmal sieben Tage die Woche offen hielt, konnte er den Ansturm von Bankern kaum bewältigen. Die Welle von Wünschen nach ärztlichen Zeugnissen, die Flugunfähigkeit bescheinigten, war wieder abgeebbt, heutzutage durfte ja kein Schweizer Banker mehr in die USA fliegen. Aber dann war der Wunsch nach Attesten aufgekommen, die auch Bahn- oder Autofahrten von mehr als einer Stunde aus medizinischen Gründen untersagten; Deutschland, Italien und Frankreich waren ebenfalls zum Feindesland für Schweizer Gnome geworden. Das war für Dr. Moser alles kein Problem gewesen, zwei, drei in großen Mengen ausgedruckte Standardtexte, und schon wechselten ein paar Hunderternoten rasch den Besitzer, erst noch steuerfrei.
Aber in den letzten Monaten wurde er von Heerscharen von Bankern überrannt, die unter Schlaflosigkeit, Angstzuständen, Schweißausbrüchen, nervösen Zuckungen, Allergien, unangenehmen Hautrötungen, Schmerzattacken, Kratzzwang, Quaddeln, Augeninfektionen, allen Arten von Magengeschichten und Verdauungsstörungen, Kreislaufproblemen, Schwindel, Herzbeklemmung und – für die meisten am schlimmsten – Impotenz litten. Eine kurze Betriebsbesichtigung in einer Bank könnte Medizinstudenten das ganze Spektrum aller möglichen und unmöglichen psychosomatischen Krankheitsbilder illustrieren, dachte Moser. Früher hatte er einfach ein Burnout diagnostiziert und eine zweiwöchige Kur in der Klinik Schloss Klammern oder anderswo, wo er ein Kickback für jeden überwiesenen Patienten kassierte, empfohlen. Aber heute? Kein Banker wollte seinen Arbeitsplatz für länger als maximal einen Tag verlassen,
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