Zauber der Begierde
das, was sie selbst hätte sagen
können, wenn der Mann, den sie liebte, sie mit ihrer Vergangenheit
konfrontieren würde. Ihr Ehemann verstand Schmerz, und vielleicht Scham und
ganz gewiß Reue. Welches Recht hatte sie, jemanden für eine dunkle Vergangenheit
zu richten und zu verdammen? Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, mußte sie
sich sogar eingestehen, daß ihre Vergangenheit das Ergebnis ihrer eigenen,
naiven Fehler gewesen war, wohingegen sein schmerzvoller Leidensweg einer war,
den man ihn gezwungen hatte zu gehen, um seinen Clan und seine Familie zu
schützen.
Sie wollte den Mann
berühren und heilen, der jetzt so steif und weit entfernt von ihr dasaß, doch
sie war sich nicht sicher, wie sie es anfangen sollte. Soviel war klar - er war
nicht des Königs Hure gewesen, was auch immer das bedeuten mochte, weil er es
sein wollte; diese Erkenntnis verschaffte ihr größte Erleichterung. Mehr als
alles andere wollte sie diesen ungestümen, stolzen Mann verstehen. Wollte die
Schatten aus seinen schönen dunklen Augen vertreiben. Sie zuckte unwillkürlich
zusammen, als sie spürte, wie Seide ihr Kinn streifte.
»Nein! Setz mir nicht
wieder die Haube auf. Bitte.«
Hawk ignorierte ihre
Proteste, und sie seufzte, als er die Bänder wieder verschnürte.
»Wirst du mir nun sagen,
warum?«
»Warum was?«
»Warum >verbrämst<
du mich jetzt?« Was hatte sie getan, um seinen Zorn zu reizen?
»Ich hielt mich zurück,
Mädchen. Ich gab dir, was kein anderer Mann dir gegeben hätte. Ich gewährte dir
Zeit, mich aus freien Stücken zu wählen. Doch es scheint, als sei dein Wille
äußerst töricht und müßte überredet werden. Du wirst mich wählen. Und wenn du
es tust, wird keines anderen
Mannes Namen mehr auf deinen Lippen sein, keines
anderen Mannes Schaft zwischen deinen Schenkeln, keines anderen Mannes Gesicht
vor deinem geistigen Auge.«
»Aber -« Sie wollte
wissen, warum ihre Zeit so plötzlich abgelaufen war. Was hatte ihn dazu
gebracht, jetzt zuzuschlagen?
»Kein Aber. Keine weiteren Worte, Mädchen. Es sei
denn, du wolltest, daß ich dir auch noch den Mund verbinde. Von diesem
Zeitpunkt an wirst du lernen zu sehen, ohne die Hilfe jener schönen, lügenden
Augen. Vielleicht bin ich kein kompletter Narr. Vielleicht wirst du mit deinem
inneren Blick die Wahrheit erkennen. Dann wiederum, vielleicht auch nicht. Aber
deine erste Lektion ist, daß mein Aussehen nichts damit zu tun hat, wer ich
bin. Wer ich in meiner Vergangenheit gewesen sein mag, hat nichts mit dem zu tun,
der ich bin. Wenn du mich schließlich klar erkennst, dann, und nur dann, wirst
du wieder mit deinen Augen sehen.«
Sie erreichten Uster kurz nach Morgengrauen. Indem er
sein Pferd durch die Nacht hetzte, hatte Hawk eine Reise von zwei Tagen in
weniger als einem geschafft.
Er führte sie zum Gutshaus, vorbei an dem gaffenden
Personal, die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer. Ohne ein Wort durchtrennte
er die Fesseln an ihren Handgelenken mit einem Dolch, schubste sie zum Bett und
verriegelte hinter sich die Tür, als er ging.
In der Sekunde, als Adriennes Hände frei waren, riß
sie sich die Haube vom Kopf. Sie hatte vorgehabt, sie in winzige seidene
Fetzen zu zerreißen, kam allerdings zu der Einsicht, daß er wahrscheinlich
etwas anderes benutzen würde, wenn sie die Haube zerstörte. Davon abgesehen,
sann sie, hatte sie nicht vor, mit ihm zu kämpfen. Sie hatte genug Probleme am
Hals, indem sie versuchte, sich ihren eigenen Gefühlen zu stellen; laß ihn tun,
was er glaubt, tun zu müssen. Es gab ihr mehr Zeit, sich mit den neuen Gefühlen
in ihrem Inneren vertraut zu machen. Lieber Himmel, war er wütend auf sie. Sie
war sich nicht sicher, was genau ihn so wütend gemacht hatte, aber ihr
Entschluß stand noch immer fest. Im Angesicht seiner Wut hatten ihre Soldaten
nicht ihre Meinung geändert. Sie standen alle stolz auf der Seite des Hawk,
und sie stand geschlossen an ihrer Seite.
Er hatte vor, sie ohne
Gefühl zu verführen? Ihren inneren Blick auf ihn zu öffnen?
Er brauchte nicht zu wissen, daß er schon geöffnet worden
war und daß sie schamlos jede Sekunde der Verführung erwartete.
Der Hawk wanderte langsam durch die Straßen von Uster.
Zu dieser späten Stunde waren sie beinahe verlassen, nur wer mutig war, völlig
verblödet oder Böses im Schilde führte, ging spät nachts durch die Straßen,
wenn dichter Nebel sich senkte. Er fragte sich, zu welcher Kategorie er wohl
gehörte.
Viel war begonnen worden
an diesem
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