Zauber der Leidenschaft
antwortete. »Vom Moralischen her bist du es nicht. Ich hatte nicht erwartet, dass mir eine der bösartigsten Frauen der Mythenwelt aufgebürdet werden würde.«
Omorts Worte kamen ihr wieder in den Sinn. Wie enttäuscht der Dämon sein muss …
»Eine der bösartigsten? Nicht die Nummer eins?« Sie zog einen Schmollmund. »Na ja, jeder braucht wohl Ziele. Interessanterweise habe ich mich selbst nie als bööööse angesehen, nur weil ich gelegentlich etwas stehle.« Als er ihr einen finsteren Blick zuwarf, korrigierte sie sich. »Oder jemanden umbringe, der sich mir beim Stehlen in den Weg stellt.«
»Warum musst du überhaupt stehlen?«
Sie blickte verständnislos drein. »Wie sollte ich denn wohl sonst an Gold gelangen? Soll ich als Tippse arbeiten?«
»Vielleicht könntest du ohne auskommen.«
»Unmöglich. Jeder braucht Gold.« Gold ist Leben …
»Du wirst von mehr Kreaturen gehasst, als du dir vorstellen kannst.«
»Hasst du mich?«, fragte sie.
»Noch nicht, aber ich glaube, das ist unvermeidlich.«
Sie lachte leise. »Mich zu hassen, ist wie ein scharfes Schwert zu hassen, an dem du dich schneidest. Ich kann nichts dafür, wie ich gemacht bin.«
»Ein Schwert kann umgestaltet, umgeformt werden.«
»Aber erst, nachdem es zerbrochen wurde. Stell dir nur vor, wie schmerzhaft das Feuer der Schmiede und die Hammerschläge sich anfühlen würden – genauso schrecklich wie beim ersten Mal, als es geschmiedet wurde. Warum all diesen Schmerz wiederholen?«
»Um es diesmal richtig zu machen.«
Sie wechselte das Thema. »Du hast mich heute Nacht tassia genannt, als ich dich gerade liebkoste. Wenn das ›boshaftes Weib‹ bedeutet, gibt es denn dann auch ein männliches Äquivalent?«
»Du weißt es nicht? Du sprichst kein Dämonisch?«, fragte er ungläubig.
»Diese Sprache zu lernen gilt als ordinär, und zudem ist es verboten, sie hier auf der Burg zu sprechen. Außerdem beherrsche ich schon fünf andere Sprachen. Fünf ist mein Limit, mehr passt nicht rein.«
»Dann hast du mich also gar nicht verstanden, als ich dich verflucht habe?«
»Kein bisschen. Aber du hast mich oft genug böse und Miststück in unserer Sprache genannt, dass ich mir denken kann …«
In diesem Augenblick läuteten die Glocken der Burg, und der Klang drang aus der Ferne zu ihnen.
»Sie läuten jetzt um Mitternacht und um drei Uhr?« Seine Stimme ließ seine Abscheu erkennen. »Warum um drei? Heißt das vielleicht, dass es an der Zeit ist, einen widerwärtigen Gott anzubeten? Einen, der nach diesen Blutopfern giert?«
»Sollte ich lieber die Vernunft anbeten? Wie du es tust?«
»Das wäre nicht das Schlechteste.«
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Rydstrom?«, fragte sie. »Ich bete die Illusionen an.«
»Was soll das heißen?«
Sie streckte die Hand aus und strich ihm das Haar aus der Stirn. »Die Illusion ist die scheue Geliebte der Realität, die sie anspornt, wenn sie Trübsal bläst. Die Illusion ist gerissen, wo die Realität über die Weisheit vieler Zeitalter verfügt, ihrem Wissen stellt die Illusion süßes Vergessen gegenüber, ihrem Mangel Großzügigkeit. Das ist es, was mir heilig ist.«
»Siehst du dich selbst als Illusion?«
Ein langsames Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Möchtest du meine Realität sein?« Als sich seine durchdringenden grünen Augen auf ihre Lippen senkten, sagte sie: »Denkst du über unseren Kuss nach, Dämon? Ich hoffe es, weil er mir die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf geht. Es hat mir gefallen, wie du mich geküsst hast.«
Die steile Falte zwischen seinen Brauen vertiefte sich. »Warum bist du heute Nacht hergekommen?«
Um den Ekel zu vertreiben, den Omort in mir hervorgerufen hat. »Um dich zu warnen. Bei unserer nächsten Begegnung werde ich die Samthandschuhe ausziehen.« Oder besser gesagt, sie anlegen. »Wenn ich das nächste Mal komme, werde ich keine Gnade walten lassen.« Das konnte sie sich nicht leisten, denn mit jedem Tag verringerte sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie schwanger werden würde.
Die Sorceri waren einfach keine so fruchtbare Spezies wie viele andere in der Mythenwelt.
Der Dämon musterte ihr Gesicht sehr aufmerksam, als ob er hinter ihre Maske aus Illusionen blicken wollte. »Sabine, ich glaube nicht, dass du so schlecht bist, wie es scheint.«
»Bei mir ist nichts, wie es scheint. Es ist immer sehr viel schlimmer.«
»Nein. Ich glaube nicht, dass du mir oder meinem Volk all diese Dinge wirklich antun willst.«
»Was
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