Zauber einer Winternacht
Es ging ihn nichts an, war nicht sein Problem. Aber das stimmte nicht. In dem Moment, wo sie seinen Arm ergriffen hatte, um die schneeglatte Straße zu überqueren, war sie zu seiner persönlichen Angelegenheit geworden.
»Haben Sie genug Geld?«
»Etwas. Es reicht für den Arzt und noch etwas mehr.«
Er war dabei, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Das wusste er. Zum ersten Mal seit fast einem Jahr gab es etwas, an dem ihm wirklich etwas lag. Auf dem Kaminsockel sitzend, blies er den Rauch aus und musterte sie.
»Ich möchte Sie malen«, sagte er plötzlich. »Ich zahle Ihnen das übliche Honorar fürs Modellsitzen, plus freie Unterkunft und Verpflegung.«
»Ich kann Ihr Geld nicht annehmen.«
»Warum nicht? Sie denken doch ohnehin, ich hätte mehr davon, als für mich gut ist.«
Seine Worte beschämten sie, und ihre Wangen röteten sich. »Das habe ich nicht gemeint. So jedenfalls nicht.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Was immer Sie gemeint haben, es bleibt dabei, dass ich Sie malen möchte. Ich habe mein eigenes Arbeitstempo, also werden Sie geduldig sein müssen. Von Kompromissen halte ich zwar nicht viel, aber angesichts Ihres Zustands bin ich zu einigen bereit. Wenn Sie müde sind oder das Sitzen Ihnen zu unbequem wird, legen wir eine Pause ein.«
Es war ein äußerst verlockendes Angebot. Sie versuchte zu vergessen, dass sie früher schon vom Verkauf ihres Aussehens gelebt hatte, und dachte daran, was das zusätzliche Geld für das Baby bedeuten würde. »Ich würde das Angebot gern annehmen, aber Ihre Arbeiten sind zu bekannt. Wenn das Porträt ausgestellt wird, werden sie mich sofort erkennen.«
»Das stimmt. Aber ich bin nicht verpflichtet, irgendjemandem zu erzählen, wo und wann ich Sie kennengelernt habe. Sie haben mein Wort, dass durch mich niemand auf Ihre Spur kommt.«
Schweigend rang sie mit sich. »Würden Sie bitte zu mir kommen?«
Nach kurzem Zögern warf er seine Zigarette ins Feuer. Er stand auf, ging durchs Zimmer und hockte sich vor sie. Nicht nur er, auch sie hatte gelernt, in einem Gesicht zu lesen. »Ihr Ehrenwort?«
»Ja.«
Einige Risiken waren es wert, eingegangen zu werden. Sie streckte ihm beide Hände entgegen und schenkte ihm mit ihnen auch ihr Vertrauen.
Da das Schneegestöber unvermindert anhielt, war es ein Tag ohne Sonnenaufgang oder -untergang, ohne Dämmerung. Er blieb trübe und ging irgendwann fast unmerklich in den Abend über. Schließlich hörte es auf zu schneien.
Laura hätte es vielleicht gar nicht bemerkt, wenn sie nicht am Fenster gestanden hätte. Die Flocken wurden nicht von Minute zu Minute weniger, sondern verschwanden ganz plötzlich, als hätte jemand einen Schalter betätigt. Irgendwie war sie enttäuscht darüber, wie früher als kleines Mädchen, wenn sie die herumwirbelnde Pracht vermisst hatte. Kurz entschlossen stieg sie in ihre Stiefel und ging nach draußen auf die Veranda.
Obwohl Gabriel die Veranda im Laufe des Tages zweimal freigeschaufelt hatte, reichte der Schnee Laura bis zu den Knien. Ihre Stiefel sanken ein und verschwanden. Sie hatte das Gefühl, von einer weichen, wohltuenden Wolke verschluckt zu werden. Die Luft war dünn und kalt, und sie schlang die Arme um die Brust, bevor sie tief Atem holte.
Es gab keine Sterne. Es gab keinen Mond. Der Schein der Türlaterne reichte nur wenige Meter ins Dunkel hinaus. Sie sah nicht mehr als Weiß und hörte nicht mehr als Stille. Manche hätten die dicke Schneedecke vielleicht als eine Art Gefängnismauer empfunden, die die Hütte und ihre Bewohner einschloss. Laura empfand ihre von den Schneemassen umgebene Behausung eher als eine Festung, die ihr Sicherheit und Schutz gewährte.
Endlich hatte sie sich dazu durchgerungen, jemand anderem als nur sich selbst zu vertrauen. Sie sah in die Dunkelheit hinaus und wusste, dass die Entscheidung richtig gewesen war.
Er war kein sanfter Mann, vielleicht nicht einmal sonderlich ausgeglichen, aber er war freundlich und, da war sie sich sicher, ein Mann, der Wort hielt. Er, die Hütte und die Berge würden ihr ermöglichen, sich wieder einige Energiereserven zuzulegen. Die letzten Monate hatten viel Kraft gekostet. Nicht körperlich. Die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen, und sie war gesund und in guter Verfassung. Nein, es waren die geistigen und emotionalen Reserven, die aufgezehrt worden waren.
Die musste sie wieder aufbauen.
Gabriel verstand nicht, wozu die Eagletons fähig waren, was sie mit ihrem Geld und ihrer Macht
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