Zauber einer Winternacht
erreichen konnten. Sie hatte es erlebt. Wie sie mit Schecks und Manipulationen die Fehler ihres Sohns vertuscht hatten. Wie sie es mit einigen Anrufen bei Leuten, die ihnen einen Gefallen schuldeten, geschafft hatten, seinen selbst verschuldeten Tod und den seiner Begleiterin in ein tragisches Unglück zu verwandeln.
In der Presse hatte kein Wort über Alkohol und Ehebruch gestanden. Die Zeitungsleser mussten glauben, dass Anthony Eagleton, Alleinerbe des riesigen Eagleton-Vermögens, einer glatten Straße und schadhaften Lenkung zum Opfer gefallen war – und nicht einer verantwortungslosen Trunkenheitsfahrt. Aus der Frau neben ihm, seiner Geliebten, hatten die Zeitungen seine Sekretärin gemacht.
Das Scheidungsverfahren, das Laura eingeleitet hatte, war gestoppt, eingestellt, aus den Akten getilgt worden. Kein Schatten eines Skandals würde auf das Andenken Anthony Eagletons und den Namen seiner Familie fallen. Sie selbst war dazu gebracht worden, die zutiefst erschütterte trauernde Witwe zu spielen.
Sie war erschüttert gewesen. Und sie hatte getrauert. Nicht um das, was auf jener einsamen Landstraße am Rande Bostons für immer aus ihrem Leben verschwunden war, sondern um das, was sie bereits so kurz nach ihrer Hochzeitsnacht verloren hatte.
Es war sinnlos, an die Vergangenheit zu denken. Jetzt, gerade jetzt musste sie sich auf die Zukunft konzentrieren. Was immer sich auch zwischen ihr und Tony zugetragen hatte, sie hatten zusammen neues Leben erschaffen. Und es war an ihr, dieses Leben zu beschützen und liebevoll für es zu sorgen.
»Woran denken Sie?«
Verdutzt drehte sie sich um und lachte Gabriel an. »Ich habe Sie gar nicht kommen gehört.«
»Sie waren ja mit den Gedanken auch ganz woanders.« Er zog die Tür hinter sich zu. »Es ist kalt hier draußen.«
»Ich finde es wundervoll. Wie hoch liegt der Schnee, was glauben Sie?«
»Einen Meter, vielleicht eineinhalb.«
»Ich habe noch nie so viel Schnee gesehen. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass er jemals schmilzt und wieder Gras wachsen lässt.«
Er trug keine Handschuhe und stopfte die Hände in die Jackentaschen. »Als ich im November hier eintraf, lag bereits Schnee. Ich kenne es gar nicht anders.«
Sie versuchte sich auszumalen, wie es sein musste, wenn der Schnee niemals schmolz. Nein, das würde sie nicht aushalten. Sie brauchte den Frühling, die Knospen, das Grün, die Hoffnung. »Wie lange werden Sie hierbleiben?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
Sie lächelte, obwohl sie ihn ein wenig um sein sorgloses Leben beneidete. »All die Bilder. Sie werden sie ausstellen müssen.«
»Später.« Er zuckte mit den Schultern, fühlte sich plötzlich rastlos. San Francisco, seine Familie, seine Erinnerungen, alles schien so weit entfernt. »Keine Eile.«
»Kunst will betrachtet und anerkannt sein«, murmelte sie, ihre Gedanken aussprechend. »Es wäre schade, sie hier zu verstecken.«
»Aber Menschen kann man hier ruhig verstecken?«
»Meinen Sie mich damit, oder tun Sie das auch, sich hier verstecken?«
»Ich arbeitete«, erwiderte er ruhig.
»Ein Mann wie Sie könnte überall arbeiten, glaube ich. Sie schieben die Leute einfach beiseite und gehen ans Werk.«
Er musste grinsen. »Kann schon sein. Aber hin und wieder brauche ich meine Ruhe. Wenn man sich erst einmal einen Namen gemacht hat, starren einem die Leute nur zu gern über die Schulter.«
»Nun, ich bin jedenfalls froh, dass Sie hergekommen sind. Aus welchem Grund auch immer.« Sie schob sich das Haar aus dem Gesicht. »Ich sollte wieder hineingehen, aber ich habe keine Lust.« Lächelnd lehnte sie sich gegen den Pfosten.
Seine Augen verengten sich. Als er ihr Gesicht zwischen die Hände nahm, fühlten seine Finger sich kalt und fest an. »Ihre Augen haben etwas an sich«, murmelte er und drehte ihr Gesicht ins Licht. »Sie drücken alles aus, was ein Mann sich von einer Frau ersehnt. Und eine Menge von dem, worauf er lieber verzichten würde. Sie haben alte Augen, Laura. Alte und traurige.«
Sie schwieg. Nicht etwa, weil ihr die Worte fehlten, sondern weil seine Berührung etwas in ihr auslöste, das sie längst verschüttet geglaubt hatte. Nicht nur die rein körperliche Erregung. Auch eine Empfindung, ein Gefühl, gegen das sie sich nicht wehren konnte, es vielleicht auch nicht wollte.
»Ich frage mich, was Sie in Ihrem Leben schon alles gesehen haben.«
Wie aus eigenem Willen strichen seine Finger ihr über die Wange. Sie waren
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