Zauber einer Winternacht
»Aber ich weiß Ihre Sorge um mich – um uns – zu schätzen.«
»Legen Sie die Beine hoch«, wiederholte er. »Ich hole Ihnen ein Glas Milch.«
»Aber ich …«
»Sie hatten heute erst ein Glas.« Mit ungeduldiger Geste wies er auf das Sofa, bevor er in der Küche verschwand.
Mit einem erleichterten Seufzer ließ Laura sich in die Polster sinken. Die Beine hochzulegen war nicht mehr so einfach wie früher, aber sie schaffte es, die Füße auf dem Rand des Couchtischs zu platzieren. Vom Kamin drang die Wärme des Feuers zu ihr herüber, und sie sehnte sich danach, sich davor zusammenzurollen. Wenn ich mich dazu verleiten lasse, dachte sie ironisch, komme ich ohne Kran nicht wieder hoch.
Sie musste an Gabriel denken, als aus der Küche Geklapper kam. Noch nie hatte jemand sie so behandelt. Als gleichrangig und doch wie jemand, der schutzbedürftig war. Als Freund. Ohne dass jeder Gefallen erwidert oder gar bezahlt werden musste. Eines Tages würde sie sich bei ihm revanchieren, das nahm sie sich ganz fest vor.
Wenn sie die Augen schloss und sich zur Ruhe zwang, sah sie die Zukunft deutlich vor sich. Sie würde ein kleines Apartment haben in der Stadt. Egal, in welcher. Das Baby würde ein eigenes Zimmer bekommen, in sonnigem Gelb und strahlendem Weiß, mit Märchenmotiven an den Wänden. Nachts, wenn der Rest der Welt schlief, würde sie mit dem Baby im Schaukelstuhl sitzen.
Dann würde sie nicht mehr allein sein.
Als Laura die Augen wieder aufschlug, stand Gabriel vor ihr. Sie träumte davon, einfach die Arme nach ihm auszustrecken und etwas von der Kraft und Zuversicht in sich aufzunehmen, die er ausstrahlte. Stattdessen nahm sie das Glas Milch, das er ihr reichte.
»Wenn das Baby geboren ist und ich es abgestillt habe, trinke ich keinen Tropfen Milch mehr.«
»Mit der frischen Milch ist es jetzt vorbei. Ich kann Ihnen wegen des Schnees leider keine beschaffen. Ab morgen gibt’s Trockenmilch oder die aus der Dose.«
»Großartig.« Mit wenig begeistertem Gesichtsausdruck leerte sie das Glas zur Hälfte. »Ich bilde mir immer ein, es wäre Kaffee. Starker schwarzer Kaffee.« Sie nahm wieder einen Schluck. »Oder, wenn mir richtig verwegen zumute ist, Champagner. Französischer, in Kristallflöten.«
»Zu schade, dass ich keine Weingläser habe. Dann wäre die Illusion perfekt. Haben Sie Hunger?«
»Das mit dem Für-zwei-Essen ist ein reines Gerücht. Außerdem, wenn ich noch mehr Gewicht zulege, fange ich bald an zu muhen.« Sie lehnte sich zufrieden zurück. »Das Bild von Paris … Haben Sie es hier gemalt?«
Er sah zu dem Bild hinüber. Also ist sie schon einmal dort gewesen, dachte er. Es war eine düstere, fast surrealistische Studie des Bois de Boulogne. »Ja, nach alten Zeichnungen und aus dem Gedächtnis. Wann waren Sie dort?«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich in Paris war.«
»Sonst hätten Sie es doch nicht erkannt.« Er nahm ihr das leere Glas ab und stellte es zur Seite. »Je geheimnistuerischer Sie sind, desto neugieriger werde ich, Laura.«
»Vor einem Jahr«, sagte sie in nüchternem Tonfall. »Ich habe zwei Wochen dort verbracht.«
»Wie hat es Ihnen gefallen?«
»Paris?« Sie zwang sich zur Entspannung. Es war so lange her, wie in einem anderen Leben. »Paris ist eine wunderschöne Stadt, wie eine sehr alte Frau, die noch immer zu flirten versteht. Alles blühte, und die Düfte waren unglaublich. Es regnete und regnete, drei Tage lang, und man konnte sitzen und sehen, wie die schwarzen Schirme vorbeihuschten und die Blüten sich entfalteten.«
Fast automatisch legte er die Hand auf die nervös zuckenden Finger. »Sie waren nicht sehr glücklich dort, was?«
»In Paris im Frühling?« Ihre Hände entspannten sich, als sie sich darauf konzentrierte. »Nur ein Dummkopf wäre dort unglücklich.«
»Der Vater des Babys … War er mit Ihnen dort?«
»Was spielt das für eine Rolle?«
Eigentlich hätte es ihm gleichgültig sein sollen. Aber nun würde er jedes Mal, wenn er das Bild ansah, an sie denken müssen. Und er musste es wissen. »Haben Sie ihn geliebt?«
Hatte sie das? Laura blickte ins Feuer. Hatte sie Tony geliebt? Ihre Lippen verzogen sich wie von selbst. Ja, das hatte sie. Sie hatte den Tony geliebt, den sie sich in der Fantasie ausgemalt hatte. »Sehr sogar. Ich habe ihn sehr geliebt.«
»Seit wann sind Sie allein?«
»Das bin ich nicht.« Sie legte eine Hand auf den Bauch. Als sie fühlte, wie die Antwort erfolgte, wurde ihr Lächeln breiter. Sie nahm Gabriels
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