Zauber einer Winternacht
nur nicht mit Michael dort auftauchen und stören.«
Amanda lag auf der Zunge, dass Michael Großeltern besaß, die ihn nur zu gern einige Stunden für sich gehabt hätten, aber sie schluckte die Antwort hinunter. »Ich bin sicher, Gabriel hätte nichts dagegen. Er liebt den Jungen über alles.«
»Ja, das tut er.« Laura schnürte Michael die blauen Minischuhe wieder zu. »Aber ich verstehe, dass er während der Arbeit seine Ruhe braucht.« Sie gab ihrem Sohn einen kleinen Stoffhasen, und der stopfte sich sofort ein Schlappohr in den Mund. »Hast du eine Ahnung, warum Gabriel so sehr mit der Ausstellung zögert?«
»Hast du ihn danach gefragt?«
Laura drehte sich stirnrunzelnd um. »Nein, ich will ihn nicht unter Druck setzen.«
»Etwas Druck ist vielleicht genau das, was er braucht.«
Lauras Stirnrunzeln vertiefte sich. »Wieso?«
»Es hat mit Michael zu tun, mit meinem Sohn Michael. Ich würde es vorziehen, wenn du Weiteres von Gabriel erfragtest.«
»Standen die beiden sich sehr nahe?«
»Ja.« Amanda lächelte. Sich zu erinnern schmerzte weniger als der Versuch zu vergessen. »Sie waren sich sehr nah, aber sehr verschieden. Gabriel war tief erschüttert, als Michael getötet wurde. Die Zeit in den Bergen hat ihm seine Kunst wiedergegeben. Und ich glaube, du und das Baby haben ihm sein Herz wiedergegeben.«
»Das würde mich freuen. Er hat mir mehr geholfen, als ich je zurückzahlen kann.«
Amanda warf ihr einen scharfen Blick zu. »Zwischen einem Ehemann und seiner Frau sind keine Zahlungen nötig.«
»Vielleicht nicht.«
»Bist du glücklich?«
Um Zeit zu gewinnen, legte Laura das Baby ins Bett und zog die darüber aufgehängte Spieluhr auf, damit ihr Sohn danach greifen konnte. »Natürlich. Warum sollte ich es nicht sein?«
»Das ist meine nächste Frage.«
»Ich bin sehr glücklich.« Sie machte sich wieder daran, die Babysachen zusammenzulegen. »Es war nett von dir, mich zu besuchen, Amanda. Ich weiß, wie beschäftigt du bist.«
»Glaub ja nicht, dass du mich hinauskomplimentieren kannst, bevor ich dazu bereit bin.«
Laura drehte sich um und sah das amüsierte Lächeln, das um Amandas Mundwinkel spielte. Sie errötete. »Entschuldigung«, sagte sie.
»Kein Grund. Ich kann kaum erwarten, dass du dich in meiner Gegenwart schon wohlfühlst. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob es mir bei dir nicht ebenso geht.«
Laura lächelte zurück. »Ich bin überzeugt, du fühlst dich in jeder Situation wohl. Darum beneide ich dich. Und es tut mir wirklich sehr leid, Amanda.«
Amanda winkte ab und stand auf, um sich im Zimmer umzusehen. Ihr gefiel, wie ihre Schwiegertochter es eingerichtet hatte.
»Es ist ein bezauberndes Zimmer. Das denke ich jedes Mal, wenn ich hereinkomme.« Sie strich dem riesigen Teddybären über den flauschigen Kopf. »Aber du kannst dich hier nicht für immer verstecken.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.« Sie wusste es ganz genau.
»Du bist noch nie zuvor in San Francisco gewesen. Und was hast du dir schon angesehen? Nichts. Bist du ins Museum gegangen oder ins Theater? Bist du zu Fisherman’s Wharf hinunterspaziert oder durch Chinatown?«
»Nein«, erwiderte Laura kühl. »Aber ich bin auch erst wenige Wochen hier, vergiss das nicht.«
Amanda entschied, dass es an der Zeit sei, mit dem Herantasten aufzuhören und zur Sache zu kommen. »Lass uns einmal von Frau zu Frau reden, Laura. Vergiss einfach, dass ich Gabriels Mutter bin. Wir sind unter uns. Und dort bleibt auch alles, worüber wir sprechen.«
»Ich weiß nicht, was du von mir hören willst.«
»Was immer gesagt werden muss.« Als Laura schwieg, nickte Amanda. »Also gut, dann fange ich an. Du hast in deinem Leben einige kritische Phasen gehabt, einige waren sogar tragisch. Gabriel hat uns das Nötigste erzählt, aber ich habe eine ganze Menge mehr erfahren, indem ich den richtigen Leuten die richtigen Fragen gestellt habe.« Sie setzte sich wieder und schlug die Beine übereinander. Das Aufblitzen in Lauras Augen entging ihr nicht. »Warte, bis ich fertig bin. Danach kannst du so wütend auf mich sein, wie du möchtest.«
»Ich bin nicht wütend«, erwiderte Laura kühl. »Aber ich sehe keinen Sinn darin, die Vergangenheit aufzuwärmen.«
»Wenn man das Vergangene nicht richtig bewältigt hat, kommt man vielleicht auch mit dem Zukünftigen nicht zurecht.« Amanda versuchte, forsch und sachlich zu klingen, aber auch ihre Fassung hatte Grenzen. »Ich weiß, dass Tony Eagleton dich missbraucht hat und
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