Zauber einer Winternacht
dass seine Eltern das ungeheuerliche, ja kriminelle Verhalten ihres Sohnes nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Es tut mir von ganzem Herzen leid, dass du das durchmachen musstest.«
»Bitte …« Lauras Stimme klang erstickt. Sie schüttelte den Kopf. »Hör auf.«
»Willst du kein Mitgefühl, nicht einmal von Frau zu Frau?«, wollte Amanda wissen.
Sie schüttelte erneut den Kopf. Aus Angst, es zu akzeptieren, und, noch schlimmer, es zu brauchen. »Ich kann Mitleid nicht ertragen.«
»Mitgefühl und Mitleid sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge.«
»Das liegt alles hinter mir. Ich bin jetzt jemand anders.«
»Da ich dich erst seit Kurzem kenne, kann ich das nicht beurteilen. Aber so, wie du die letzten Monate durchgestanden hast, musst du über große Reserven an Kraft und Entschlossenheit verfügen. Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, sie einzusetzen und zurückzukämpfen?«
»Ich habe zurückgekämpft.«
»Du hast dir eine Zuflucht gesucht, eine, die du dringend nötig hattest. Ich bestreite nicht, dass das Mut und Durchhaltevermögen gekostet hat. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man sich entscheiden muss.«
»Wozu? Dazu, vor Gericht zu gehen, in die Schlagzeilen zu kommen und den ganzen hässlichen Schmutz vor aller Welt auszubreiten?«
»Falls das nötig ist, ja.« In Amandas Stimme schwang ein Stolz mit, der in keiner Ecke des Zimmers zu überhören gewesen wäre. »Die Bradleys fürchten sich nicht vor einem Skandal.«
»Ich bin keine …«
»Natürlich bist du das«, erklärte Amanda bestimmt. »Du bist eine Bradley und das Kind auch. Es ist vor allem Michael, an den ich denke, und zwar auf längere Sicht. Aber auch an dich. Was macht es schon aus, was jemand über dich weiß? Es gibt nichts, dessen du dich schämen müsstest.«
»Ich habe es zugelassen«, sagte Laura mit einer Art von dumpfem Zorn. »Dafür werde ich mich immer schämen.«
»Mein liebes Kind.« Amanda konnte nicht anders, sie musste aufstehen und die Arme um Laura legen. Nach dem ersten Schock ließ Laura sich gehen. Vielleicht lag es daran, dass der Trost von einer Frau kam, jedenfalls riss er die bereits angeknackste Fassade vollends ein.
Amanda ließ sie weinen, weinte sogar mit. Dass sie es tat, dass sie es konnte, war tröstender, als alle Worte es je hätten sein können. Wange an Wange, Frau an Frau, hielten sie einander umarmt, bis der Sturm der Emotionen sich gelegt hatte.
Das Band, das Laura zwischen ihnen für unmöglich gehalten hatte, kam unter Tränen zustande. Den Arm um ihre Schulter gelegt, führte Amanda sie zur Liege.
»So, das brauchten wir wohl beide«, sagte sie sanft und wischte sich mit einem spitzenbesetzten Taschentuch über die Augen. »Und jetzt hör mir mal zu«, fuhr sie mit gefestigter Stimme fort. »Du warst jung und allein, und es gibt nichts, nicht das Geringste, dessen du dich schämen müsstest. Das wird dir eines Tages auch noch klar werden, aber vorläufig mag es genügen zu wissen, dass du nicht mehr allein bist.«
»Manchmal bin ich so wütend, weil ich so lange als eine Art Zubehör, als Sandsack oder Statussymbol benutzt wurde.« Es war erstaunlich, wie ruhig diese Wut sie machte. »Heute weiß ich, dass ich mir das nie wieder bieten lassen würde.«
»Dann bleib wütend.«
»Aber die Wut ist meine persönliche Angelegenheit.« Sie sah zum Kinderbett hinüber. »Erst wenn ich an Michael denke und daran, dass sie ihn mir wegnehmen wollen, kommt die Angst.«
»Jetzt haben sie es nicht mehr allein mit dir zu tun, nicht wahr?« Laura sah wieder zu Amanda zurück. Ihre Miene war entschlossen. Ihre Augen glitzerten. Daher hat Gabriel also seine Kämpfernatur, dachte Laura und fühlte, wie eine neue Liebe sich in ihr zu regen begann. Amandas Hand in ihre zu nehmen kam ihr plötzlich wie die natürlichste Sache der Welt vor. »Nein, das haben sie nicht.«
Sie hörten beide, wie unten die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Laura fuhr sich sofort mit beiden Händen übers Gesicht. »Das muss Gabriel sein. Er kommt aus der Galerie. Ich will nicht, dass er mich so sieht.«
»Ich gehe nach unten und beschäftige ihn.« Amanda gab einem Impuls nach und sah auf ihre Armbanduhr. »Hast du heute Nachmittag schon etwas vor?«
»Nein. Nur …«
»Gut. Komm herunter, nachdem du dich zurechtgemacht hast.«
Zehn Minuten später betrat Laura das Wohnzimmer. Gabriel saß etwas eingeschüchtert in einem Sessel und starrte in ein Glas Club-Soda.
»So, das wäre
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