Zauber einer Winternacht
miteinander, sondern harmonierten. Genau wie die geschmackvoll arrangierten Bilder an den Wänden.
Sie erkannte eines von Gabriels, eine besonders ruhige, fast schwermütige Ansicht eines ergrünenden Gartens. Es war nicht hübsch und schon gar nicht fröhlich. Während sie es betrachtete, musste sie an das Wandgemälde denken, das er seiner Mutter gemalt hatte. Derselbe Mann, der Fantasien für wichtig genug hielt, um sie zum Leben zu erwecken, war auch Realist, manchmal vielleicht zu sehr. Auch das hatten sie gemeinsam.
An diesem verregneten Nachmittag in der Woche waren nur wenige Kunden in der Galerie. Die hatten Zeit, sich in Ruhe umzusehen. Sie selbst nicht. Als sie einen Wächter entdeckte, ging sie zu ihm.
»Entschuldigung, ich suche Gabriel Bradley.«
»Tut mir leid, Miss. Er ist nicht zu sprechen. Falls Sie eine Frage zu einem seiner Bilder haben, sollten Sie sich an Mrs. Trussault wenden.«
»Nein. Sehen Sie, ich …«
»Laura.« Marion kam aus einer Nische geschwebt. Heute trug sie zarte Pastelltöne, einen langen schmal geschnittenen Rock in Hellblau, der ihr bis zu den Knöcheln reichte, und einen hüftlangen Pullover in sanftem Pink. Die ruhigen Farben unterstrichen ihr exotisches Aussehen. »Also haben Sie sich doch noch zu einem Besuch durchgerungen.«
»Ich möchte Gabriel sprechen.«
»Wie schade.« Mit einer knappen Handbewegung schickte Marion den Wächter fort. »Er ist momentan nicht hier.«
Lauras Finger schlossen sich noch fester um den Verschluss ihrer Handtasche. Die Lage war so kritisch, dass sie sich hier ganz bestimmt nicht mehr einschüchtern lassen würde. »Wann erwarten Sie ihn zurück?«
»Eigentlich müsste er bald wieder hier sein. Wir sind in …«, sie schaute auf die Uhr, »einer halben Stunde zum Drink verabredet.«
Sowohl der Blick als auch der Tonfall waren dazu gedacht, sie abzuwimmeln, aber Laura war über derartige Spielchen längst hinaus. »Dann warte ich.«
»Das können Sie natürlich gern tun, aber ich fürchte, Gabriel und ich haben geschäftliche Dinge zu besprechen. Es würde Sie nur langweilen.«
In ihrem Kopf verspürte sie einen dumpf pochenden Schmerz, und sie war viel zu erschöpft, um mit Marion die Klingen zu kreuzen. Sie musste sich ihre Energie für einen wesentlich wichtigeren Kampf aufsparen. »Ich weiß Ihre Aufmerksamkeit zu schätzen, aber an Gabriels Arbeit gibt es nichts, was mich langweilen könnte.«
»So spricht die treu sorgende Ehefrau.« Marion legte den Kopf auf die Seite. Ihr Lächeln hatte nichts von Wärme an sich. »Sie sehen so blass aus. Ärger im Paradies?«
Da dämmerte es Laura. Als ob Marion es laut und deutlich ausgesprochen hätte, wusste sie plötzlich, wie Lorraine sie gefunden hatte. »Nichts, womit ich nicht fertig werden würde. Warum haben Sie sie angerufen, Marion?«
Das Lächeln blieb unverändert, kühl und zuversichtlich. »Wie bitte?«
»Sie gab doch schon eine Menge Geld für Privatdetektive aus. Mehr als eine Woche oder zwei wäre mir doch ohnehin nicht geblieben.«
Marion dachte einen Moment lang nach, drehte sich dann zu einem Bild um und machte sich am Rahmen zu schaffen. »Ich habe noch nie etwas von Zeitverschwendung gehalten. Je schneller Lorraine mit Ihnen fertig wird, desto früher kann ich Gabriel wieder aufs richtige Gleis setzen. Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen.«
Marion durchquerte die Galerie und betrat vor Laura einen separaten Raum, dessen Wände und Boden ganz in Weiß gehalten waren. In der Ecke führte eine ebenfalls weiße Wendeltreppe nach oben, auf eine runde Galerie. Unter der Treppe wuchsen drei geschickt arrangierte Zierbäume, vor denen eine Ebenholzskulptur aufragte, ein Mann und eine Frau in leidenschaftlicher, aber dennoch irgendwie verzweifelt wirkender Umarmung.
Es war das Porträt, das ihre Aufmerksamkeit erregte, sie geradezu forderte. Von der Leinwand blickte Laura ihr eigenes Gesicht an, von der Leinwand, die Gabriel in jenen langen ruhigen Tagen in Colorado bemalt hatte.
»Ja, es ist wirklich atemberaubend.« Marion rieb sich mit dem Finger über die Lippe, während sie es studierte. Als Gabriel es ausgepackt hatte, war sie versucht gewesen, es in Stücke zu schneiden. Doch die Versuchung war rasch wieder verschwunden, denn ihre Kunstbegeisterung war viel zu groß, als dass persönliche Gefühle dabei eine Rolle hätten spielen können. »Es ist eins seiner besten und romantischsten Werke. Es hängt erst seit drei Wochen, und ich habe bereits sechs ernsthafte
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