Zauber einer Winternacht
Fingerspitze spürte. Ganz plötzlich blitzte in ihr die Erinnerung an die letzte, schreckliche Begegnung mit dieser Frau auf. Als ob sie gerade erst ausgesprochen worden wären, kamen ihr die Drohungen, die Forderungen und die Erniedrigungen in den Sinn. Sie fand ihre Stimme wieder.
»Michael schläft.«
»Umso besser. Wir haben etwas zu besprechen.«
Der Regen hatte die Luft kühler werden lassen, und sie duftete noch nach ihm. Wässriges Sonnenlicht kroch durch die Tür, die Laura noch immer nicht geschlossen hatte. Die Vögel begannen schon wieder zuversichtlich zu zwitschern. Ganz normal. Alles ist so normal, schoss es ihr durch den Kopf. Die Welt hörte nicht auf zu existieren, wenn das Leben eines Menschen in die Krise geriet.
Obwohl ihre Finger sich noch immer um den Türgriff klammerten, schaffte sie es, Blick und Stimme ruhig wirken zu lassen.
»Sie befinden sich jetzt in meinem Haus, Mrs. Eagleton.«
»Frauen wie dir gelingt es immer wieder, reiche, leichtgläubige Ehemänner zu finden.« Sie zog eine Augenbraue hoch, offenbar befriedigt, dass Laura noch immer blass und verkrampft an der Tür stand. »Aber das ändert nichts daran, wer du bist, was du bist. Und die Tatsache, dass du dir schlauerweise Gabriel Bradley geangelt hast, wird mich nicht daran hindern, mir das zu holen, was mir gehört.«
»Ich habe nichts, was Ihnen gehört. Ich möchte, dass Sie jetzt gehen«, sagte Laura.
»Das kann ich mir denken«, erwiderte Lorraine lächelnd. Sie war eine hochgewachsene, eindrucksvolle Frau mit dunklem, sorgfältig frisiertem Haar und einem faltenlosen Gesicht. »Glaube mir, ich habe weder den Wunsch noch die Absicht, länger als nötig zu bleiben. Ich will das Kind haben.«
Laura hatte plötzlich die Vorstellung, im Nebel zu stehen, mit einer leeren Decke auf dem Arm. »Nein.«
Lorraine wischte die Weigerung wie einen Fussel auf ihrem Revers beiseite. »Ich besorge mir einfach einen Gerichtsbeschluss.«
An die Stelle der eisigen Furcht trat heißer Zorn, und Laura konnte sich wieder bewegen. Wenn auch nur, um eine straffere Haltung einzunehmen. »Dann tun Sie das. Aber bis dahin lassen Sie uns in Ruhe.«
Noch immer dieselbe, dachte Lorraine, etwas widerspenstiger vielleicht, wenn sie mit dem Rücken an der Wand steht, aber immer noch leicht zu manipulieren. Selbst wenn sie wütend war, hob Lorraine nie die Stimme. Schon seit Langem hielt sie Verachtung für eine schlagkräftigere Waffe als Lautstärke.
»Du hättest das Angebot akzeptieren sollen, das mein Mann und ich dir gemacht haben. Es war großzügig, und wir werden es nicht wiederholen.«
»Sie können mein Baby nicht kaufen. Ebenso wenig wie Sie Tony zurückkaufen können.«
Schmerz zuckte über Lorraines Gesicht. Ein Schmerz, der so real und so schneidend war, dass Laura automatisch Worte des Mitgefühls formulierte. Sie konnten jetzt reden, mussten jetzt reden, von Mutter zu Mutter. »Mrs. Eagleton …«
»Mit dir rede ich nicht über meinen Sohn«, gab Lorraine zurück, während sich der Schmerz in Bitterkeit verwandelte. »Wenn du gewesen wärst, was er brauchte, würde er noch leben. Das werde ich dir nie verzeihen.«
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätten diese Worte sie zutiefst erschüttert, und sie hätte sich sofort wieder schuldig gefühlt. Aber Lorraine hatte sich geirrt. Sie war nicht mehr dieselbe. »Wollen Sie mir das Baby wegnehmen, um mich zu bestrafen oder einfach nur, um Ihren Willen durchzusetzen? Warum auch immer, es ist falsch, das müssen Sie wissen.«
»Ich kann und werde beweisen, dass du ungeeignet bist, das Kind aufzuziehen. Ich werde Material vorlegen, nach dem du dich vor und nach der Ehe mit meinem Sohn anderen Männern zur Verfügung gestellt hast.«
»Sie wissen, dass das nicht wahr ist.«
Lorraine fuhr fort, als hätte Laura nicht gesprochen. »Hinzu kommt dein zerrütteter Familienhintergrund. Falls sich herausstellt, dass das Kind von Tony ist, wird es wegen des Sorgerechts eine gerichtliche Anhörung geben. Und deren Ergebnis dürfte ja wohl außer Frage stehen.«
»Sie werden Michael nicht bekommen, nicht mit Geld, nicht mit Lügen.« Ihre Stimme hob sich von selbst, und sie senkte sie wieder. Jetzt die Fassung zu verlieren würde nichts einbringen. Laura wusste nur zu gut, wie lässig Lorraine Gefühle mit einem einzigen kalten, vernichtenden Blick zur Seite fegen konnte. Sie glaubte, musste glauben, dass es einen Weg gab, auf vernünftige Weise mit ihr zu reden. »Wenn Sie Tony je geliebt
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