Zauber-Schloss
schlecht gelaunt.
Millie drehte sich um und lächelte mechanisch. Sie hatte am Spülbecken gestanden und Teller gewaschen. Sie behauptete, daß es weniger Mühe machte, sie mit der Hand zu waschen, als den Reinigungszauber zu suchen, und wahrscheinlich stimmte das in ihrem Fall auch. Der Zauber war in Pulverform und wurde in einer Schachtel geliefert, die der Zauberer im Palast eigens dafür konstruiert hatte. Doch am Pulver fehlte es immer. Es gab kaum etwas Ärgerlicheres, als über den ganzen Hof hinter davonlaufendem Pulver herzujagen. Also schrubbte und spülte sie die Teller lieber selbst. »Hast du noch Hunger, Dor?«
»Nein«, sagte er verlegen. Er hatte zwar Hunger, aber nicht auf Essen. Wenn man das überhaupt Hunger nennen konnte.
Plötzlich klopfte es zögernd und etwas gedämpft-schwammig an der Tür. Millie blickte hinüber und sagte fröhlich: »Das wird wohl Jonathan sein.«
Jonathan, der Zombie. Dor machte eine Grimasse. Nicht daß er irgend etwas gegen Zombies gehabt hätte, aber es gefiel ihm nicht, wenn sie ins Haus kamen. Sie ließen dauernd verfaulende Fleisch- und Körperteile herabfallen, die eigentlich zu ihnen gehörten, und sie waren auch nicht eben ein betörender Anblick. »Ach, was findest du nur an diesem Knochengerippe?« fragte Dor, machte einen Buckel und verzog die Lippen, um einen Zombie nachzuäffen.
»Aber Dor, das ist gar nicht nett! Jonathan ist ein alter Freund von mir. Ich kenne ihn schon seit Jahrhunderten.«
Das war keine Übertreibung! Die Zombies hatten die Umgebung von Schloß Roogna schon genauso lange heimgesucht wie die Gespenster. Da war es doch klar, daß sich beide Arten von Mißgestalten kennengelernt hatten…
Aber Millie war doch jetzt eine lebendige, ganze, greifbare Frau! Äußerst greifbar, dachte Dor, während er ihr dabei zusah, wie sie trippelnd zur Hintertür der Küche ging. Und Jonathan war dagegen ein schrecklicher wiederbelebter Mann. Ein wandelnder Leichnam. Wie konnte sie ihm nur Beachtung schenken?
»Die Schöne und das Ungeheuer«, brummte er zornig. Frustriert und wütend stelzte Dor aus der Küche in das Hauptzimmer der Hütte. Der Boden bestand aus glatter, harter Rinde, die spiegelblank poliert worden war. Die Wände waren gelbweiß. Er hieb mit der Faust gegen eine davon, doch die protestierte sofort: »He, hör auf damit! Du machst mich noch kaputt! Ich bin schließlich nur aus Käse, mußt du wissen!«
Das wußte Dor.
Das Haus bestand aus einem großen, ausgehöhlten Hüttenkäse, der schon lange hart und fest geworden war. Als er wuchs, da war er noch lebendig gewesen. Doch als Haus war er nun tot, deshalb konnte Dor auch mit ihm reden. Nicht daß er besonders viel zu berichten gehabt hätte…
Dor stürmte zur Eingangstür hinaus. »Wage es ja nicht, mich zuzuknallen!« warnte sie, aber er schlug sie trotzdem zu und hörte noch, wie sie hinter ihm stöhnend bebte. Diese Tür wollte schon immer etwas Besseres sein als Käse.
Draußen war es düster. Er hätte es eigentlich wissen müssen: Jonathan zog es vor, an düsteren Tagen auf Besuch zu kommen, denn da trocknete sein chronisch faulendes Fleisch nicht so schnell aus. Es sah sogar nach Regen aus.
»Pinkelt bloß nicht auf mich herab!« brüllte Dor den Wolken am Himmel im gleichen Tonfall zu, wie ihn die Tür ihm entgegengebracht hatte. Die nächste Wolke kicherte bösartig. Es klang wie ein Donnerschlag.
»Dor! Warte!« rief eine leise Stimme. Es war Grundy der Golem, der eigentlich gar kein Golem mehr war, aber was machte das schon für einen Unterschied! Er war Dors Freiluftgefährte und war immer begierig darauf, Dor bei seinen Wanderungen durch den Wald zu begleiten. Dors Eltern hatten wirklich dafür Sorge getragen, daß er immer unter Bewachung stand – durch Leute wie Millie, die keine peinlichen Geheimnisse hatten, und Leute wie Grundy, denen es egal war, wenn sie welche haben sollten. Grundy wäre sogar ausgesprochen stolz darauf, etwas Peinliches an sich zu haben.
Das brachte Dor auf einen anderen Gedanken. Es waren ja nicht nur Bink und Chamäleon – niemand auf Schloß Roogna legte besonderen Wert auf einen engeren Kontakt mit Dor. Wegen all dieser Sachen, die da so passierten und die von den Möbeln wahrgenommen wurden. Weil Dor eben mit den Möbeln reden konnte. Für ihn besaßen Wände Ohren und Fußböden Augen. Was war nur los mit den Leuten? Schämten sie sich denn für alles, was sie taten? Nur König Trent wirkte völlig unbefangen in seiner
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