Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
um elf Uhr
wollten die Vogelfänger aus dem Salzkammergut am Papagenoplatz ihrem neuen Ehrenmitglied
Maximilian Glocker im feierlichen Rahmen eine Urkunde überreichen. Was würde dabei
passieren?, fragten sich alle Berichterstatter auf den Kulturseiten genau so wie
auf den Chronikseiten, wo es ressortgemäß um Unfälle und Verbrechen ging. Welche
öffentlichkeitswirksame Aktion würden sich die aufgebrachten Tierschützer dieses
Mal einfallen lassen? Da werden die Polizeikollegen heute wohl einiges zu tun bekommen,
vermutete Merana. Da wird es nicht genügen, zwei einsame Streifenbeamten zum Papagenoplatz
zu schicken. Er schaltete den Laptop aus und machte sich auf den Weg zum Kapuzinerberg.
Der Kapuzinerberg ist einer der
beiden dominierenden Stadtberge in Salzburg. Er liegt gegenüber dem Mönchsberg,
an dessen Fuß sich der Festspielbezirk erstreckt. Zwischen den beiden Stadtbergen
schlängelt sich das Silberband der Salzach. Die Stadt mit ihren Häusern und Kirchen,
Straßen und Plätzen schmiegt sich in den geschützten Raum zwischen den Flanken der
Erhebungen wie in ein Nest. Als Merana bei seinem Aufstieg von der Linzergasse her
die Höhe des alten Kapuzinerklosters erreicht hatte, machte er kurz Halt. Hier war
er oft mit Franziska gesessen, hatte ihre Hand gehalten, sich an ihre schmale Schulter
gekauert und den Duft ihrer Haut eingeatmet. Sie hatten sich gegenseitig Weintrauben
in den Mund geschoben und gemeinsam Pläne geschmiedet über eine unbeschwerte Zukunft.
Daraus war nichts geworden. Denn von einem Tag auf den anderen war plötzlich der
Tod an ihrer Seite aufgetaucht, der hohlwangige Knochenmann , den man oft auf Darstellungen
findet. Er hatte mit einem einzigen Schlag seiner riesigen Sense all ihre Träume
zunichte gemacht. Morbus Hodgkin. Lymphdrüsenkrebs. Es hatte keine neun Wochen gedauert,
dann war Franziska tot. Und Merana rannte seitdem mit einer klaffenden Wunde in
seinem Inneren herum, einem wunden Tier ähnlich. Als er vor sechs Jahren Birgit
getroffen hatte, hatte er geglaubt, es wäre nun besser. War es auch, eine Zeit lang
zumindest.
Und dann
war ihm plötzlich die Streifenbeamtin Andrea Lichtenegger über den Weg gelaufen.
Das heißt, sie war ihm nicht direkt über den Weg gelaufen, sondern aus dienstlichen
Gründen an seiner Seite gestanden, als er sich über ein Unfallopfer beugte. [2] Und zwei
Stunden später war sie an seinen Tisch in der Kantine der Polizeidirektion herangetreten
und hatte ihm und seinem Ermittlerteam etwas schüchtern, aber überzeugend, dargelegt,
dass sie nicht glaube, dass der arme Obdachlose, der kurz davor bei diesem Verkehrsunfall
getötet worden war, ein Mörder sei. Und wieder zwei Tage später war sie bereits
an seiner Seite gesessen und hatte mit ihm auf dem Salzburger Domplatz eine Jedermannaufführung
erlebt, bis zum abrupten Abbruch wegen eines Unwetters. Er hatte versucht, sich
dagegen zu wehren. Aber die Präsenz dieser jungen Frau hatte ihn fasziniert. Obwohl
sie seiner verstorbenen Frau nicht im geringsten ähnlich sah, hatte sie ihn immer
wieder an Franziska erinnert. Er hatte lange nicht mitbekommen, dass innerhalb der
Dienststellen längst getuschelt wurde. Woher auch? Er war Andrea lange ausgewichen.
Er hatte sich mit Erfolg dagegen gewehrt, eine Affäre mit einer Frau anzufangen,
die seine Tochter sein könnte. Auch wenn er manchmal an ihrem Blick vermutet hatte,
dass auch sie nicht abgeneigt war, dass sie einander näher kamen. Immer, wenn er
in Andreas Nähe war, fühlte er sich gut. Ihr Lachen, ihre Augen, ihre Gegenwart
taten seinem Herzen wohl. Und einmal waren sie sich tatsächlich sehr nahe gewesen.
Auf einer umgestülpten Getränkekiste mitten auf dem Platz des Ehrenhofes vor dem
Schloss Hellbrunn. [3] Um sechs Uhr morgens. Bei einer
ähnlich zauberhaften Lichtstimmung wie heute. Er hatte ihre Hand gehalten, sie hatte
ihren Kopf an seine Schulter gelegt. Mehr war nicht gewesen. Eine Zeit lang hatte
er das Gefühl gehabt, das bodenlose Loch in seinem Innern würde langsam weniger
dunkel. Nach einer Stunde waren sie aufgestanden und nach Hause gefahren, jeder
für sich. Aber diese eine Stunde Gemeinsamkeit, ohne Worte, bei nur gegenseitigem
Spüren, gehörte zum Schönsten, was er seit dem Tod seiner Frau erlebt hatte. Danach
allerdings war es noch schwerer gewesen. Sich weiterhin aus dem Weg zu gehen, war
nicht immer möglich. Das ging schon aus dienstlichen Gründen nicht. Einmal hatte
er Andrea zufällig in fröhlichem
Weitere Kostenlose Bücher