Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
wir
Selbstmord ausschließen und davon ausgehen, dass ihr jemand absichtlich Phenobarbital
in ein Getränk schüttete, dann brauchen wir ein Motiv. Also, lasst hören!« Er sah
die versammelte Runde im Zimmer herausfordernd an.
»Vielleicht
war es jemand aus dem unmittelbaren Kollegenkreis, einer der Sänger«, ließ sich
ein junger Beamter vernehmen, der den ganzen Tag über in Carolas Gruppe mögliche
Zeugen befragt hatte. Merana fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Lassen
wir einmal außer Acht, wer es getan haben könnte. Denken wir nicht an bestimmte
Personen. Fragen wir uns, warum. Was könnten plausible Motive sein?«
Er schaute
wieder in die Runde. »Geld«, beeilte sich der junge Beamte von vorhin zu sagen.
»Vielleicht sollten wir schnell herausfinden, wer ihr Vermögen erbt.«
»Gut«, lobte
Merana. »Einfach weitermachen. Lasst euren Gedanken freien Lauf.«
Nach der
Reihe wurden mögliche Motive in den Raum gestellt. Eifersucht: Hatte sie einen Liebhaber?
Von einem Ehemann war nichts bekannt. Neid: Hatte es Auseinandersetzungen gegeben?
Bestand Rivalität? Vielleicht. Auch große Künstler schielen oft mit Missgunst auf
die Erfolge anderer. Sie hatten bisher nichts dergleichen gehört, aber das war eine
mögliche Richtung, der sie nachgehen konnten. Vielleicht wusste Sängerkollege Ferdinand
Hebenbronn mehr dazu. Stand sie jemandem im Wege? Behinderte sie die Karrieren anderer?
Hatte jemand Angst vor Entdeckung? Wusste die Todorova etwas, das für eine andere
Person gefährlich war? Zu einem Motiv, das in diese Richtung verwies, hatten sie
bisher die deutlichsten Hinweise bekommen. Wenn sich der Betrugsverdacht erhärtete,
dann war die Vorsitzende der Todorova-Stiftung eine Gefahr für Waldemar Bernhold.
An dem Geigenhändler würden sie in jedem Fall dran bleiben.
»Könnte
es einfach Hass sein? Gibt es jemanden in ihrer Umgebung, der sie so tief hasste,
dass er ihr Gift ins Glas schüttete?« Carola sah die anderen fragend an. Einige
nickten. »Das glaube ich nicht«, mischte sich Thomas Brunner ins Gespräch ein. »Ich
mag mich irren, aber tiefer Hass passt irgendwie nicht ins Bild.«
»Das musst
du uns erklären, Thomas.« Merana nahm wieder Platz und blickte den Chef der Spurensicherung
erwartungsvoll an.
»Es gibt
ein paar merkwürdige Umstände bei diesem Fall, die mich irritieren. Ich frage mich,
warum hat der Täter ausgerechnet Phenobarbital verwendet, ein Schlafmittel, bei
dem es gar nicht so leicht ist, die richtige Dosierung zu erwischen. Man bekommt
zunächst Schwindelanfälle, heftige Müdigkeit setzt ein. Er konnte doch nicht damit
rechnen, dass die Todorova von der Säule fällt und sich den Schädel einschlägt.
Wenn sie ihren Auftritt trotz Schwäche absolviert hätte oder schon vorher starke
Anzeichen aufgetreten wären, dann hätte doch noch ein Arzt eingreifen können. Ein
Notarzt-Team war in Rufweite. Wenn der Täter absolut sicher sein wollte, dass sein
Anschlag gelingt, dann hätte er besser zu einem anderen Mittel gegriffen. Von einem
solchen hätte auch eine winzige Menge schon gereicht. Muscarin etwa, das Gift des
Fliegenpilzes. Das kann man mit ein wenig Internetrecherche ganz leicht selber erzeugen.
Oder Colchicin, das Gift der Herbstzeitlosen. Meinetwegen auch das gute alte Arsen.
Diese Substanzen wirken schnell und zuverlässig. Rettung ist so gut wie ausgeschlossen.
Die Vergifteten gehen jämmerlich zugrunde. Jemanden einen derart qualvollen Tod
sterben lassen, würde zu tiefem Hass passen. Aber wir stoßen hier auf ein Barbiturat,
dessen Wirkung nicht mit großen Schmerzen einhergeht. Man entschläft sanft. Wir
haben ein Mittel vorliegen, das man Sterbenden gibt, um sie sanft hinübergleiten
zu lassen. Eine Substanz, die einem in Selbstmordforen angeboten wird. Versteht
ihr, was ich meine?«
Sie verstanden.
Für einige Momente herrschte Schweigen im Raum.
»Vielleicht
hat sie es doch selbst getan.« Der junge Beamte war der Erste, der die Stille durchbrach.
»Vielleicht hatte sie doch ein schwere Krankheit, von der wir noch nichts wissen.«
Sie gingen noch einmal alle möglichen Motive durch, überprüften, ob diese zu den
Personen passen könnten, die sie im Lauf der Ermittlungen bisher kennen gelernt
hatten. Kurz vor elf beendete Merana das Meeting. Auf der Heimfahrt fiel ihm das
scheue Reh wieder ein. Dinharazade. Die im wirklichen Leben Emina hieß und eine
verzogene Göre zu betreuen hatte. Er war sich immer noch sicher, dass die junge
Frau etwas wusste.
Weitere Kostenlose Bücher