Zauberflötenrache: Meranas dritter Fall (German Edition)
kannte
Carola seit mehr als zehn Jahren. Er bewunderte diese Frau grenzenlos. Er erinnerte
sich, wie er sie eines Abends im Büro angetroffen hatte. Sie hatte hilflos geweint,
weil sie nicht mehr ein und aus wusste. Ihr Mann war Alkoholiker, hatte wieder einmal
einen seiner Ausraster gehabt. Der Gefühlsausbruch, den sie sich damals leistete,
war eine Ausnahme gewesen. Sonst zeigte sie sich immer als starke Frau, die mit
allem fertig wurde. Sie meisterte mit Zähigkeit und Opferbereitschaft den Spagat
zwischen der Betreuung ihrer behinderten Tochter, der Erziehung eines pubertierenden
Sohnes, dem Bändigen eines trinkenden Ehemannes und den Anforderungen eines kräfteraubenden
Berufes. Und diese großartige Frau war nun sichtlich verlegen, weil sie dabei ertappt
wurde, wie sie das Bild eines Fisches in ein Album klebte. Merana griff nach dem
zweiten Stuhl und setzte sich neben sie.
»Lass sehen.«
Sie sah
ihn erstaunt an, unsicher, was er wollte.
»Zeig her
deinen Schatz. Wie viele hast du schon?«
Langsam
löste sie sich aus ihrer Starre.
»Es sind
bis jetzt 29, die vielen doppelten und mehrfachen natürlich nicht mit gerechnet.«
Sie öffnete das Sammelheft in der Mitte. »Und das ist Nummer 30, Mola mola, der
Mondfisch. Endlich habe ich ihn ergattert. Dieses Bildchen bekommt man selten. Muränen
und Bachforellen habe ich genug. Da könnte ich das halbe Büro damit tapezieren.
Aber der Mondfisch ist eine rare Beute.«
Sie klebte
das Bild ins Heft und klopfte noch einmal mit der Hand darauf. In ihren Augen leuchtete
Sammlerstolz. Merana sah darin dasselbe Glitzern, das er an ihr kannte, wenn sie
in einem schwierigen Mordfall auf das entscheidende Indiz gestoßen war. Und er sah
noch etwas. Ein kleines Mädchen, das sich einfach freute.
»Das macht
der großen Kriminalistin Spaß, was?«
Sie sah
ihn wieder kurz an, versuchte abzuklären, ob er sie vielleicht auf den Arm nehmen
wollte. Aber Merana hatte das anerkennend gemeint. Sie zögerte kurz. Dann beugte
sie sich zur Seite und zog die unterste Schublade auf, kramte darin, und legte schließlich
ein paar weitere Hefte auf den Schreibtisch. Alles Sammelmappen. Sie wirkten ein
wenig abgegriffen, aber gut gefüllt. Die schönsten Hundebilder las Merana, Exotische Tiere des Dschungels und Leben in der Wüste.
»Respekt,
Frau Chefinspektorin, da waren Sie ja sehr fleißig.«
Sie lehnte
sich langsam in ihren Sessel zurück und schaute ihn mit ihren dunklen Augen eine
Weile an.
»Weißt du,
Martin, das ist eines der wenigen Vergnügen, die ich habe. Als Kind durfte ich nie
sammeln. Dafür war kein Geld da. Und außerdem hatte meine strenge Mutter nichts
übrig für derlei idiotischen Firlefanz. In meiner Klasse hatten alle die Bilder
von Fußballstars, Filmpromis und Tieren. In den Pausen gab es einen richtigen Tauschhandel.
Ich hatte nichts. Schon allein das machte mich zur Außenseiterin.«
Sie beugte
sich vor und legte die Hefte zurück in die Schublade.
»Du kannst
dir nicht vorstellen, wie blöd ich mir vorkomme, wenn ich an der Supermarktkasse
bin und beim Bezahlen immer nach den Bildern verlange. Für meine kleine Tochter,
sage ich, und gebe mir größte Mühe, dabei nicht rot zu werden. Aber es macht mir
einen Heidenspaß, die Bilder hier im Büro in das Album zu kleben. Leider kann ich
mich nicht auf den Schulhof stellen, um zu tauschen.« Vielleicht sollte sie das
einfach machen, dachte Merana.
»Welche
Bilder waren es bei den Hunden, die man schwersten bekam?«
Die Röte
aus ihrem Gesicht war verschwunden, ein Lächeln machte sich stattdessen breit. »Der
Abessinische Sandterrier und die französische Bulldogge. Bei den Wüstentieren war
es die Dornschwanzagame, ein Pflanzenfresser unter den Echsen, übrigens eine Delikatesse
für die Nomadenvölker.« Sie griff noch einmal in die Schublade, holte ein Album
hervor und schlug die entsprechende Seite auf. Sie hatte neben das Bild der urtümlichen
Echse, die auf einem Felsen kauerte, mit dem Filzstift ein großes Rufzeichen und
ein Datum gesetzt.
»Und beim
aktuellen Album der Wasserbewohner ist es der Pazifische Rotfeuerfisch. Wenn dir
zufällig einer unterkommt, ich hätte im Tausch zwölf Hammerhaie anzubieten.«
Plötzlich
musste Merana lachen. Er konnte nicht anders. Da saßen zwei Chefermittler der Salzburger
Polizei. Draußen wurde die Welt gerade erschüttert von Festspielskandalmorden und
anderen Grausigkeiten und sie beide unterhielt sich über Abessinische Sandterrier
und
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