Zauberhafte Versuchung
nächsten Regal weiterging. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und betrachtete eine Bücherreihe hoch über ihr.
Diesen Saal mit ihren Augen zu sehen war für Fielding so, als sähe auch er ihn auch zum ersten Mal. Die Regale reichten bis an die großen Fenster in der unteren Hälfte der kupfernen Dachkuppel, sodass man durch deren Glasfenster schon die ersten Sterne am abendlichen Himmel funkeln sehen konnte. An den langen Tischreihen, die wie die Speichen eines Wagenrads von den Saalwänden abgingen, saßen einige Besucher.
»Wie viel Zeit haben wir?«, fragte Esme mit noch immer von ehrfürchtigem Staunen erfüllter Stimme.
Fielding warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr. »Etwa zwanzig Minuten«, erwiderte er leise.
Sie blickte von ihm zu den Regalen und schien mit sich zu ringen.
»Du hast noch Zeit, dich ein wenig umzusehen, bevor wir gehen müssen. Und wir können ja auch noch einmal wiederkommen.«
Das frohe Lächeln erhellte so plötzlich ihr Gesicht, dass Fielding keine Zeit blieb, sich gegen dessen Wirkung zu wappnen. Wie kam er dazu, ihr einen Besuch der Bibliothek zu versprechen?
Fielding ermahnte sich, dass es an der Zeit war, sich nach einem Versteck umzusehen, in dem sie abwarten konnten, bis das Museum schloss. Esme ging derweil an den Regalen entlang, wobei sie hin und wieder stehen blieb, um ein Buch herauszunehmen und es durchzublättern.
Fielding war inzwischen den großen runden Saal abgegangen und hatte nach einem geeigneten Versteck gesucht, hatte jedoch weder einen Schrank noch eine Nische gefunden, die sich geeignet hätten.
»Noch zehn Minuten, bis wir schließen«, sagte ein Museumswärter, während er durch den Saal ging.
Die wenigen Besucher, die noch an den Schreibtischen gesessen und gearbeitet hatten, begannen, ihre Sachen zusammenzupacken. Fielding ging zu Esme hinüber.
»Hier gibt es nirgendwo ein Versteck für uns«, flüsterte er ihr zu. »Lass uns in einen der anderen Räume gehen.« Sie verließen den großen Lesesaal und folgten einem breiten Gang, der sie tiefer in das Museum und bis zu einem abgedunkelten Raum führte.
»Ägyptologie«, sagte Esme interessiert. »Seit sie diese Ausstellung erweitert haben, bin ich nicht mehr hier gewesen,.«
»Psst«, raunte Fielding, als Schritte im angrenzenden Raum zu hören waren. Den Stimmen nach zu urteilen, hielten sich dort zwei Männer auf.
Fielding nahm Esme an der Hand und zog sie durch den Ausstellungsraum. Es gab nur eine weitere Tür außer der, durch die sie gekommen waren, und die führte in den Raum, aus dem die Stimmen zu ihnen drangen. Und dort entdeckte Fielding das passende Versteck für sie: ein von zwei Katzenstatuen flankierter steinerner Sarkophag, der aufrecht an der Wand stand. Auf seinem Deckel befand sich die Darstellung einer Ägypterin, und trotz der an einigen Stellen abblätternden Farbe war es ein Bild von noch immer großer Schönheit. Dafür hätte ich eine Menge Geld bekommen können, ging es Fielding durch den Sinn.
»Wir können uns dort drinnen verstecken«, sagte er und zeigte auf den Sarkophag.
»Bist du verrückt?« Esme blieb stehen und starrte ihn an. »Wir können uns doch nicht in einem Sarg verstecken. Außerdem wirst du den Deckel nicht von der Stelle bewegen können. Die Steinplatte wiegt vermutlich doppelt so viel wie du.«
Die beiden anderen Besucher befanden sich auf der anderen Seite des Raumes, auf der Kanopenvasen ausgestellt wurden. Einer der beiden Männer notierte sich etwas in einem kleinen Buch, dann nickte er seinem Begleiter zu und die beiden gingen. Fielding wartete, bis die Männer den Raum verlassen hatten.
»Es tut mir leid, aber wir scheinen keine andere Möglichkeit zu haben.« Er ließ den Blick noch einmal durch den Raum gleiten, um ein anderes Versteck zu finden. »Vielleicht hätte ich das Ganze besser planen sollen«, murmelte er.
Esme bedachte Fielding mit einem Lächeln, das etwas gequält wirkte.
»Wir können die Sache auch aufschieben«, schlug er vor.
Sie schaute auf den Armreif an ihrem Handgelenk und schüttelte den Kopf. »Nein, ich will dieses Ding so schnell wie möglich loswerden.«
Esme wünschte sich verzweifelt, von dieser Heimsuchung befreit zu werden und befürchtete zudem, ihr Leben könnte in Gefahr sein - dennoch hegte Fielding den Verdacht, dass ihre Verzweiflung mehr mit ihren Gefühlen für ihn als mit ihrer Angst um sich selbst zu tun hatte.
Den Deckel des Sarkophags zu bewegen war in der Tat eine Herausforderung,
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