Zauberin von Darshiva
merkwürdige Weise zur Mutter geworden, die Vella nie gehabt hatte; und die Gedanken an Dolche schwanden unter dieser weisen, sanften Stimme.
»Guten Morgen, Vella«, begrüßte Porenn das Mädchen beim Eintreten.
»Möchtet Ihr eine Tasse Tee?« In der Öffentlichkeit trug die Königin immer Schwarz, doch ihr Morgenrock war von blassem Rosa, und in dieser weichen Farbe sah sie sehr verwundbar aus.
»Hallo, Porenn«, grüßte Vella. »Nein, keinen Tee, danke.« Sie ließ sich in einen Sessel neben dem Diwan der blonden Königin fallen.
»Nicht plumpsen, Vella«, mahnte Porenn. »Damen tun das nicht.«
»Ich bin keine Dame.«
»Vielleicht noch nicht, aber ich arbeite daran.«
»Warum vergeudet Ihr Eure Zeit mit mir, Porenn?«
»Nichts, was der Mühe wert ist, ist je Zeitvergeudung.«
»Ich? Der Mühe wert?«
»Mehr, als Ihr denkt. Ihr seid früh auf heute morgen. Habt Ihr Sorgen?«
»Ich konnte kaum schlafen. Ich habe in letzter Zeit die seltsamsten Träume.«
»Laßt Euch von Träumen nicht beunruhigen, Kind. Träume sind manchmal die Vergangenheit, manchmal die Zukunft, doch meistens eben nur Träume.«
»Bitte hört auf, mich Kind zu nennen, Porenn«, ersuchte Vella sie. »Ich glaube, daß ich nicht viel jünger bin als Ihr.«
»An Jahren, möglicherweise, aber Jahre sind nicht der einzige Maßstab für die Zeit.«
Jemand klopfte leise an die Tür.
»Ja?« rief Porenn.
»Ich bin es, Eure Majestät«, meldete sich eine vertraute Stimme.
»Tretet ein, Markgraf Khendon.«
Javelin hatte sich nicht verändert, seit Vella ihn das letztemal gesehen hatte. Er war nach wie vor dürr und aristokratisch und sein Lächeln spöttisch amüsiert. Er trug, wie gewöhnlich, ein perlgraues Wams und ein hautenges schwarzes Beinkleid, das seine dünnen Waden nicht sehr schmeichelhaft betonte. Er verbeugte sich tief. »Eure Majestät«, grüßte er,
»Mylady Vella.«
»Keine Beleidigungen, Javelin!« entgegnete Vella. »Ich habe keinen Titel, also nennt mich nicht ›Mylady‹!«
»Habt Ihr es ihr denn noch nicht gesagt?« fragte Javelin die Königin.
»Ich möchte bis zu ihrem Geburtstag damit warten.«
»Worum geht es?« fragte Vella heftig.
»Habt Geduld, meine Liebe«, bat Porenn sie. »Ihr werdet zur richtigen Zeit von Eurem Titel erfahren.«
»Ich brauche keinen drasnischen Titel!«
»Jeder braucht einen Titel, meine Liebe – und wenn es nur ›Ma’am‹ ist.«
»War sie immer so?« fragte Vella den drasnischen Geheimdienstchef.
»Sie war etwas naiver, als sie noch ihre Milchzähne hatte«, antwortete Javelin liebenswürdig. »Aber sie wurde bewundernswerter, als sich ihre Fänge entwickelten.«
»Dürfte ich um etwas mehr Respekt bitten, Khendon?« rügte Porenn lä-
chelnd. »Wie war Rak Urga?«
»Häßlich – wie die meisten murgosischen Städte.«
»Und wie geht es König Urgit?«
»Er ist frisch verheiratet, Eure Majestät, das lenkt ihn ver-ständlicherweise ein wenig ab.«
Porenn zog ein Gesicht. »Oje, ich habe kein Hochzeitsgeschenk geschickt!«
»Ich nahm mir die Freiheit, mich darum zu kümmern, Eure Majestät.
Ein sehr schönes silbernes Service, das ich in Tol Honeth kaufte – zum Sonderpreis, natürlich. Ich habe ja nur einen begrenzten Etat.«
Porenn bedachte ihn mit einem langen, unfreundlichen Blick.
»Ich gab Eurem Schatzmeister die Rechnung«, fügte er ohne jegliche Verlegenheit hinzu.
»Wie verlaufen die Verhandlungen?«
»Überraschend gut, meine Königin. Der König der Murgos ist ganz offensichtlich nicht vom erblichen Irrsinn der Urgas gezeichnet. Tatsächlich ist er äußerst gerissen!«
»Das hatte ich erwartet«, antwortete Porenn fast ein wenig selbstgefällig.
»Ihr verheimlicht mir etwas, Porenn«, beklagte sich Javelin.
»Ja. Frauen brauchen ihre kleinen Geheimnisse. Sind die malloreanischen Agenten im Drojim auch gut informiert?«
»O ja.« Javelin lächelte. »Manchmal müssen wir ein bißchen übertreiben, um sicherzugehen, daß sie etwas Bestimmtes mitbekommen, doch im großen und ganzen wissen sie über den Verlauf der Verhandlungen Bescheid. Wir scheinen sie ein wenig zu beunruhigen.«
»Ihr habt nicht lange für Eure Rückreise gebraucht.«
Javelin schauderte leicht. »König Anheg stellte uns ein Schiff zur Verfü-
gung. Kapitän war dieser Pirat Greldik. Ich beging den Fehler, ihm zu sagen, daß ich es eilig hatte. Die Fahrt war grauenvoll!«
Erneut erklang ein höfliches Klopfen.
»Ja?« erkundigte sich Porenn.
Ein Diener öffnete die
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