Zauberin von Darshiva
Tür. »Der Nadraker Yarblek ist zurück, Eure Majestät«, meldete er.
»Bittet ihn einzutreten.«
Vella hatte keine Mühe, aus seiner angespannten Miene zu lesen. In vielerlei Hinsicht war ihr Besitzer ein leicht durchschaubarer Mann. Er nahm die schäbige Pelzmütze ab. »Guten Morgen, Porenn«, grüßte er formlos und warf die Mütze in eine Ecke. »Habt Ihr was zu trinken? Ich saß fünf Tage im Sattel und bin am Verdursten.«
»Da drüben.« Porenn deutete auf eine Anrichte neben dem Fenster.
Yarblek brummte, durchquerte das Gemach und schenkte sich einen großen Kelch aus einer Kristallkaraffe ein. Nach einem tiefen Schluck fragte er: »Javelin, habt Ihr Leute in Yar Nadrak?«
»Ein paar«, antwortete der Chef des Nachrichtendiensts vorsichtig.
»Habt ein Auge auf Drosta. Er führt etwas im Schild!«
»Tut er das nicht immer?«
»Das möchte ich nicht bestreiten, aber das jetzt könnte sich als etwas Ernsteres erweisen. Er hat die Verbindung mit Mal Zeth wieder aufgenommen. Er und Zakath haben nicht mehr miteinander geredet, seit er bei Thull Mardu die Seiten wechselte. Aber jetzt tun sie es wieder. Es gefällt mir nicht.«
»Seid Ihr sicher? Keiner meiner Agenten hat es gemeldet.«
»Dann habt Ihr sie vermutlich im Palast. Aber Drosta erledigt dort keine wichtigen Geschäfte. Schickt sie in eine Hafenkneipe im Diebesviertel.
›Zum einäugigen Hund‹ heißt sie. Drosta besucht sie, um sich zu amüsieren. Der Gesandte von Mal Zeth hat sich bereits ein paarmal mit ihm in einer Kammer im ersten Stock getroffen – nachdem Drosta sich von den Mädchen losreißen konnte.«
»Ich werde sofort einige Leute darauf ansetzen. Habt Ihr eine Ahnung, was sie miteinander besprachen?«
Yarblek schüttelte den Kopf und ließ sich müde in einen Sessel fallen.
»Drosta befahl seinen Wächtern, mich nicht mehr in die Kneipe zu lassen.« Er musterte Vella. »Du siehst ein bißchen bleich aus«, stellte er fest.
»Hast du gestern zuviel getrunken?«
»Ich trinke so gut wie gar nicht mehr«, antwortete sie.
»Wußte ich’s doch, daß es ein Fehler war, dich hier in Boktor zu lassen«, sagte er düster. »Porenn hat einen schlechten Einfluß auf dich. Bist du immer noch sauer auf mich?«
»Ich glaube nicht. Es ist ja nicht wirklich deine Schuld, daß du dumm bist.«
»O danke.« Er betrachtete sie abschätzend. »Das Gewand gefällt mir. So siehst du zur Abwechslung wenigstens mal wie eine Frau aus.«
»Hast du an der Tatsache je gezweifelt, Yarblek?« fragte sie ihn herausfordernd.
Adiss, der Obereunuche im Palast der Unsterblichen Salmissra, wurde schon früh am Morgen zu ihr gerufen, und er folgte dem Befehl nun zitternd und zagend. Die Königin war in letzter Zeit in einer sehr seltsamen Stimmung gewesen, und Adiss erinnerte sich zu gut an das Schicksal seines Vorgängers. Er betrat den nur schwach erhellten Thronsaal und warf sich vor dem Thronpodest auf den Boden.
»Der Obereunuche nähert sich dem Thron«, leierte der Chor der ergebenen Eunuchen. Obgleich er selbst vor noch gar nicht so langer Zeit ein Angehöriger dieses Chores gewesen war, reizte Adiss diese Meldung des Offensichtlichen.
Die Königin döste auf ihrem Diwan. Ihr gesprenkelter, zusammenge-ringelter Leib bewegte sich ruhelos, und die Schuppen schabten mit trok-kenem Rascheln gegeneinander. Sie öffnete die seelenlosen Schlangenau-gen und blickte ihn züngelnd an. »Nun?« fragte sie übellaunig mit dieser trockenen Wisperstimme, die sein Blut jedesmal gerinnen ließ.
»Ih-hr ließet mich rufen, Göttliche Salmissra«, stammelte er.
»Das weiß ich, Idiot. Ärgert mich nicht, Adiss. Ich bin kurz davor mich zu häuten, und das macht mich immer sehr reizbar. Ich wies Euch an herauszufinden, was die Alorner vorhaben. Ich warte auf Euren Bericht.«
»Ich konnte nicht sehr viel erfahren, meine Königin.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich hören will, Adiss«, sagte sie drohend.
»Könnte es sein, daß die Pflichten Eures Amtes Eure Fähigkeiten überstei-gen?«
Adiss zitterte heftig. »Ich – ich schickte nach Droblek, Eure Majestät, das ist der drasnische Hafenaufseher hier in Cthiss Tor. Ich dachte, er könnte vielleicht ein wenig Licht in die Sache bringen.«
»Möglich«, sagte sie abwesend und blickte in den Spiegel. »Schickt auch nach dem tolnedrischen Gesandten. Was immer die Alorner in Cthol Murgos machen, betrifft Varana ebenfalls.«
»Verzeiht, Göttliche Salmissra«, sagte Adiss etwas verwirrt. »Was könnten die
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