Zauberkusse
hättest ihr doch sowieso nicht die Hand geschüttelt, oder?« Da hat sie natürlich recht. Trotzdem.
»Komm, wir sollten jetzt auch gehen«, hat Loretta es plötzlich eilig und zieht mich vom Boden hoch.
»Na schön.« Auf einmal fühle ich mich merkwürdig kraftlos. Und ich frage mich, wie es jetzt weitergehen soll. Im Grunde bin ich wieder in meiner Ausgangsposition. Die Geliebte eines Mannes, der es aus irgendeinem Grund nicht schafft, sich von seiner Frau zu trennen.
»Darüber solltest du dir Gedanken machen. Warum er das nicht schafft«, meint Thekla und tätschelt mir liebevoll die Wange. Ich bin zu erschöpft, um ihr zu sagen, dass sie aus meinem Kopf herausbleiben soll und nicke nur ergeben. Thekla geleitet uns zur Tür. Die Temperatur hat in der letzten Stunde noch mal merklich angezogen. Schaudernd ziehe ich die Schultern nach oben, als ich aus der gemütlich-warmen Zauberstube nach draußen trete.
»Kommt doch gerne mal wieder vorbei«, schlägt sie vor, »in den kalten Monaten ist es immer so schrecklich langweilig für mich. Auf dem Winterdom bin ich dann wieder mit meinem Wohnmobil, aber bis dahin findet ihr mich hier. Oh, Moment mal.« Sie verschwindet mit wehendem Gewand hinter dem Vorhang und kommt mit einem Stapel violetter Visitenkarten wieder, auf denen in goldener Schrift »Madame Thekla – Magierin« steht. Darunter eine Mobilfunknummer. »Falls ihr jemanden kennt, der magischen Beistand braucht.« Loretta zückt ihrerseits ihr Kärtchen und drückt es Thekla in die Hand.
»Hier, falls Sie mal eine Anwältin brauchen«, sagt sie mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen.
»Macht’s gut, ihr Lieben«, meint Thekla abschließend und hebt die pummelige Hand mit den blutrot lackierten Krallen.
Stumm wandern Loretta und ich den Waldweg zum Parkplatz hinunter, wobei meine Freundin es plötzlich sehr eilig zu haben scheint.
»Was ist denn mit dir los, warum rennst du so?«, frage ich atemlos, während ich mich bemühe, Schritt zu halten. Sie nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her, bis ich ganz am Ende des Pfades die Silhouette von Anna erkenne. Ihre Bewegungen wirken ein bisschen robotermäßig, wegen der Halskrause.
»Nun komm schon«, fordert Loretta mich auf, als ich wie angewurzelt stehen bleibe. Ich schüttele den Kopf und weise mit der Hand in die Ferne. Loretta sieht in die Richtung, in die ich zeige und nickt. »Ja, eben«, sagt sie unverständlicherweise und zerrt erneut an mir herum. Aber ich stehe da wie ein störrischer Esel, stemme die Fersen in den steinigen Waldboden und bin nicht von der Stelle zu bewegen. Meine Freundin verdreht genervt die Augen gen Himmel, dann legt sie beide Hände trichterförmig um ihren Mund und ruft, ehe ich es verhindern kann:
»Anna! Warte bitte!« Die Gestalt vor uns hält in ihrer Bewegung inne und dreht sich mit dem ganzen Körper zu uns um, während ich zur Salzsäule erstarre.
»Was soll das?«, frage ich Loretta hilflos, aber da grabscht sie schon wieder nach meiner Hand und spurtet los. In dem Wissen, dass Anna jede unserer Bewegungen beobachtet, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Eigentlich möchte ich mich wie eine Dreijährige sträuben, auf den Boden werfen und zu schreien anfangen, aber diese Blöße will ich mir dann doch nicht geben. Als wir direkt vor Anna zum Stehen kommen, wird mir bewusst, dass ich anscheinend während des ganzen Weges den Atem angehalten habe. Jetzt schnappe ich nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen, während Loretta sich ganz ruhig an Anna wendet:
»Danke, dass du gewartet hast«, sagt sie freundlich.
»Was gibt es denn noch?«, erwidert unser Gegenüber. Ihr Ton ist genauso kalt und hart wie noch eben im Wohnwagen, aber ihr Gesicht erzählt etwas anderes. Die großen grünen Augen sehen glasig aus, am unteren Lidrand entdecke ich verräterische Spuren verlaufener Wimperntusche. Wie sie so dasteht mit der schrecklichen Halskrause, in ihrem dunklen Mantel, aus dessen Ärmel irgendwie rührend die schmalen, kindlich anmutenden Hände herausschauen, die von der klaren Herbstluft rotgefrorene Nasenspitze, die trotzig aufgeworfene Unterlippe – plötzlich sieht Gregors Frau unheimlich verletzlich aus. Wie ein trauriges kleines Mädchen. Sie sieht so aus, wie ich mich fühle. Betreten sehe ich zu Boden, weil ich es nicht mit ansehen kann. Sie ist seine Frau, hämmert es in meinem Kopf. Sie ist der Grund, weshalb er nicht bei dir ist. Sie steht deinem Glück im Weg.
Ich
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