Zauberkusse
sicher, dass es für irgendetwas nützlich sein wird.
Zunächst beschäftige ich mich mit dem Hauptraum, den ich in einem Mix aus Modern und Alt einrichten möchte. Ich skizziere eine schicke neue Bar aus Chrom und edlem dunklen Holz an der Stelle, wo jetzt das hässliche Eichending steht. Dazu entwerfe ich passende Hocker. Im Kontrast dazu bleiben gegenüber die am besten erhaltenen Sofas und Sessel bestehen, natürlich entmilbt, neu aufgepolstert und mit einem tollen Stoff bezogen, vermutlich in bordeauxrot. Oder auch königsblau, mal sehen. Die Tische zwischen den Sitzgelegenheiten passen stilmäßig wieder zur Bar. Die Tapete im Siebziger-Jahre-Muster fand ich zwar auch nicht schlecht, denke aber, dass einen das schnell erschlägt. Dunkelrot oder Gold auf die Hauptwand, Ocker an die anderen finde ich schöner. Dazu altmodische Kronleuchter und Kerzenständer, ein paar kitschige Bilder mit dicken, künstlichen Goldrahmen. Je länger ich über die Skizze gebeugt sitze, desto deutlicher erscheint mein Café vor meinem inneren Auge. Ich muss gar nicht mehr nachdenken, der Stift fliegt geradezu von alleine über das Papier. Der Innenhof ist an sich schon perfekt, wie er ist, da müssen nur neue Tische und Stühle her, gerne etwas Verschnörkeltes, antik Wirkendes. Ein paar Fackeln rundherum, Rosenstöcke gepflanzt und das Efeu gestutzt und schon ist es perfekt. Die Küche ist da schon problematischer. Funktional muss sie sein und das auf einem Minimum an Platz. Ich zeichne, radiere und verbessere, bis mir der Kopf raucht. So vertieft, wie ich bin, vergesse ich beinahe die Zeit und komme mit hängender Zunge gerade noch rechtzeitig zu meiner Schicht im L’Auberge an, wo ich mit lautem Hallo begrüßt werde. Norbert drückt mich an sich wie die verloren geglaubte Tochter und schiebt mich dann mit einem besorgten Kopfschütteln auf Armeslänge von sich:
»Du liebe Güte, Mädchen, dich hat es aber schwer erwischt. Nur noch Haut und Knochen. Aber warte, ich habe heute frische Ravioli mit Ziegenkäse-Ricotta-Füllung gemacht.« Damit stürzt er auch schon hinunter in die Küche, während ich ihm gerührt hinterhersehe. Meine beiden Lieblingskolleginnen Julia und Katja wissen natürlich, dass der Virus, der mich angeblich niedergestreckt hat, den Namen Gregor trägt.
»Du siehst echt schlimm aus. So ein Mistkerl«, flucht Julia inbrünstig und drückt mitfühlend meinen Arm.
»Schon gut. Wirklich, es geht mir ganz okay«, wehre ich ab und begrüße ein eintretendes Ehepaar um die Fünfzig mit einem strahlenden Lächeln, während ich meine blütenweiße Schürze umbinde.
»Guten Abend, herzlich Willkommen.« Ich geleite die beiden zum reservierten Tisch und plaudere dabei ein wenig mit ihnen.
»Ich übernehme die beiden, bis du aufgegessen hast«, meint Katja, als ich nach den Speisekarten greife, und deutet mit einem Kopfnicken auf den voll gehäuften Teller, auf dem die Raviolis appetitlich vor sich hindampfen.
»Wer soll das denn alles essen?«, protestiere ich, als Norbert mich in Richtung Personalraum schiebt. »Das ist aber alles andere als eine vornehme Portion.« Aber ich lasse mich gehorsam am Tisch nieder.
»Du kommst erst wieder nach vorne, wenn der Teller leer ist«, gebietet mein Chef und ich nicke brav. Dann lasse ich mir die köstliche Pasta schmecken. Ich merke jetzt schon, dass es eine gute Idee war, wieder zur Arbeit zu gehen. Und nicht nur wegen des Geldes. Dies hier ist einfach mein Zuhause. Meine Familie. Und bald werde ich meine eigene Familie gründen.
In den nächsten Tagen erstelle ich eine Liste aller Kosten, die auf mich zukommen: Anschaffungen, Handwerker für die Renovierung, Miete plus Nebenkosten, Personalkosten, Auffüllen des Warenlagers, Konzession beantragen, Versicherungen und so weiter und so fort. Ich telefoniere, bis mein Ohr glüht, um Angebote einzuholen und zu vergleichen. Ein sehr geduldiger Mensch beim Arbeitsamt hilft mir bei der Erstellung des Finanzierungsplanes. Ziemlich schnell wird mir klar, dass ein eigenes Café vor allem eins ist: Ein teures Vergnügen. Obwohl ich eisern gespart habe, wird das Geld nicht reichen. Jetzt nicht mehr!
»Wieso habe ich Gregor und seiner blöden Frau bloß achttausend Euro in den Rachen geworfen? Das schöne Geld« jaule ich, kaum dass Loretta sich am anderen Ende des Telefons gemeldet hat. Das ist doch wirklich nicht zu glauben! Ich bin einunddreißig Jahre alt und verdiene seit neun Jahren gutes Geld, dennoch fahre ich eine alte
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