Zauberkusse
Danke.«
»Wenn was ist, ruf mich an«, sagt sie noch und schon fährt sie davon. Ich sehe ihr hinterher und mache mich dann langsam auf den Weg in meine Wohnung.
Mit jeder Treppenstufe scheinen meine Beine schwerer zu werden und die Energie aus meinem Körper zu entweichen. Als ich schließlich im vierten Stock ankomme, bin ich schon wieder kurz vorm Heulen. Ich schließe die Tür auf und betrete meine Wohnung. Oder soll ich sagen: eine Stätte der Erinnerungen? Ich stehe in meinem kleinen Flur und starre auf den Holzfußboden. Auf die Stelle, an der Gregor und ich uns geliebt haben, wenn wir es nicht mehr bis ins Bett geschafft haben. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gestanden habe, aber plötzlich treffe ich eine Entscheidung. Ja, ich liebe Gregor und ja, ich bezweifle immer noch, dass ich irgendwann nicht mehr traurig darüber sein werde, dass ich ihn nicht bekommen habe. Aber nein, ich werde nicht mein Leben wegwerfen. Und meine Träume, die ich schon hatte, lange bevor ich wusste, dass es überhaupt einen Mann namens Gregor Landahl gibt, der verwirrend krauses Haar, sanfte braune Augen und eine unerklärliche Schwäche für grüne Klamotten hat. Bevor ich wusste, dass dieser Mann mich tief in meinem Innersten berühren, mich glücklich machen würde wie niemand zuvor. Und der mich schließlich auch so unglücklich machen würde wie niemand zuvor. Bevor ich all das wusste, hatte ich einen Traum von »Luzies Laden« und diesen Traum werde ich wahr werden lassen!
Wie der Blitz laufe ich hinauf auf den Dachboden und komme mit einem leeren Umzugskarton zurück. Zielstrebig durchforste ich meine Wohnung nach Erinnerungen an Gregor. Ich verzichte darauf, besagte Holzdielen im Flur herauszureißen und in den Karton zu stopfen. Alles andere wandert jedoch in den Gregor-Erinnerungs-Sarg: die Soul-CD, die wir rauf und runtergehört haben, bis wir sie mitsingen konnten, getrocknete Blumensträuße, Gregors Duschgel, zwei T-Shirts, ein blauer Socken mit Loch am großen Zeh, die silberne Kette mit dem herzförmigen Anhänger. Ich stocke einen Moment, als ich den kleinen, braunen Teddy in die Hand nehme, den Gregor mir ebenfalls geschenkt hat und der in meinem Bett liegt. Mit seinen großen Kulleraugen schaut er mich mitleiderregend an.
»Behalt mich«, scheint er sagen zu wollen, »lass mich weiter bei dir schlafen. Ich bin doch so süß. Und ich habe nichts mit Gregor zu tun, wenn man es genau nimmt.«
»Du bist von ihm und heißt auch noch so wie er, tut mir leid«, entschuldige ich mich und versenke den protestierenden Bären im Umzugskarton. Seinen Platz in meinem Bett nimmt Fuchur, der hässliche lila Drache ein, der dankbar zu mir hochschielt. Und weiter geht’s, ein Stück nach dem anderen befreie ich meine Wohnung von Gregor und schleppe eine knappe Stunde später die randvolle Kiste hoch auf den Speicher.
Danach entrümpele ich auch mein Handy und lösche schweren Herzens sämtliche SMS, die ich jemals von Gregor erhalten habe. Sechsundneunzig SMS, sechsundneunzig Liebesschwüre. Traurig lese ich jeden Einzelnen von ihnen ein letztes Mal. Mitteilung löschen? Ja! Dasselbe mache ich mit Gregors Telefonnummer. Nicht wirklich sinnvoll, weil ich die sowieso auswendig kenne, aber als symbolischer Akt unerlässlich. Als Letztes wandere ich mit gezückter Glasreinigungsflasche nebst Lappen durch meine Wohnung und mache sämtlichen Spiegelnachrichten von Gregor den Garaus. »Ich wünsche dir einen schönen Tag, mein Engel!« »Du bist wundervoll!« »Ich liebe dich bis in alle Ewigkeit!« Zweimal gesprüht, nachgewischt und schon gehört der romantische Sermon der Vergangenheit an. Traurig sehe ich in den Badezimmerspiegel, der jetzt nichts als mein Gesicht zurückwirft. Ganz bedröppelt sehe ich aus. Aufmunternd lächele ich mir zu und tatsächlich: Ich lächele zurück!
Mit einer großen Kanne Tee, Taschenrechner, Zeichenblock und Notizbuch bewaffnet lasse ich mich an meinem Schreibtisch nieder und vertiefe mich in mein neues Projekt. Als Erstes lasse ich mir von Evelyns Maklerbüro den Grundriss des Objektes emailen und vertiefe mich dann in die Zeichnung. Der Hauptraum hat etwa vierzig Quadratmeter, daneben die kleine Küche, der Innenhof, Vorratskammer und ein weiterer Raum von nur etwa neun Quadratmetern. Nachdenklich tippe ich mit der Spitze meines Bleistiftes darauf herum.
Irgendwie habe ich ein Gefühl bezüglich dieses Kämmerchens, ich weiß bloß nicht, was für eins. Auf jeden Fall bin ich
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