Zauberkusse
herankommt.
»Salute«, wünscht er und stellt uns schwungvoll jedem ein Glas Prosecco auf Eis vor die Nase.
»Nicht doch, Paolo, du weißt doch, dass ich noch arbeiten muss«, stöhnt Loretta, doch er wischt ihre Bedenken mit einer abfälligen Handbewegung vom Tisch.
»Du hast so einen traurigen Beruf, lauter zerbrochene Lieben. Ich muss dich, wie sagt man, heitern.«
»Aufheitern«, verbessere ich ihn grinsend und proste ihm zu, »du hast völlig recht, Paolo. Vielen Dank!« Mit einer angedeuteten Verbeugung zieht er sich zurück, während Loretta mit einem übertriebenen Seufzer den ersten Schluck nimmt.
»Hoffentlich hat der nicht wieder vor, uns abzufüllen. Richter Gröhn kann mich sowieso schon nicht leiden. Ach, übrigens kommt gleich noch jemand«, kündigt sie mir an und lächelt geheimnisvoll.
»Tatsächlich? Wer denn?«
»Wenn du sie wärest, dann wüsstest du es«, spricht Loretta in Rätseln.
»Häh?«
»Madame Thekla«, verkündet sie und wie auf Bestellung geht in diesem Moment die Tür auf. Suchend schaut Thekla sich um und kommt dann auf ihren hohen Absätzen auf uns zu gewackelt.
»Da seid ihr ja«, ruft sie so laut, dass alle anderen Gäste sich nach uns umdrehen, während Paolo herbeispringt, um Thekla dienstbeflissen aus ihrem knallgrünen Wintermantel zu helfen. »Danke«, ächzt sie und lässt sich dann schnaufend auf dem dritten Stuhl unseres Tisches nieder.
»Hallo, Thekla«, begrüßen wir sie wie aus einem Munde.
»Ja, ja, hallo«, gibt sie zurück.
»Wie schön, dass du da bist«, freue ich mich und es ist nicht einmal gelogen. Etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können, denn ich bin nicht sicher, ob ich ein Mittagessen mit Loretta überstanden hätte, ohne ihr schließlich doch meine Wiedervereinigung mit Gregor zu beichten. Und weil ich weiß, was für eine Standpauke mich dann erwartet hätte, bin ich nicht gerade scharf darauf.
»Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg eben zum Prophet kommen«, meint sie vorwurfsvoll.
»Ich hatte wirklich schrecklich viel zu tun«, verteidige ich mich, »ich eröffne doch bald meinen eigenen Laden.«
»Und außerdem schiebt sie Extraschichten im L’Auberge, weil ihr durch diese dumme Geschichte mit dem Unaussprechlichen doch achttausend Euro fehlen«, kommt Loretta mir zur Hilfe und ich nicke heftig, wobei ein Adrenalinstoß durch meinen Körper fährt. Natürlich, die achttausend Euro, die hatte ich ja schon wieder ganz vergessen. Was ist bloß los mit mir? Das spricht nicht unbedingt für mich als grandiose Geschäftsfrau. Andererseits hätte ich Gregor heute Morgen sowieso schlecht nach dem Geld fragen können, oder? Er hat sich gerade von seiner Frau getrennt und damit ganz andere Sorgen. Außerdem hätte er dann sicher gedacht, dass es mir nur um das Geld und nicht um ihn geht. Dennoch muss ich das Thema so schnell wie möglich ansprechen. Innerlich mache ich einen kleinen Freudentanz. Nun muss ich also doch nicht zur Bank und einen Kredit aufnehmen. Mein Leben wird tatsächlich von Stunde zu Stunde immer besser. Wenn das so weitergeht, bin ich spätestens nächste Woche der glücklichste Mensch unter der Sonne.
»Ich weiß das alles«, unterbricht Thekla diese verlockende Zukunftsaussicht und sieht bedeutungsschwanger in die Runde.
»Tatsächlich?«
»Ja«, bekräftigt sie ernsthaft nickend und beginnt, in ihrer knatschbunt-gestreiften Umhängetasche herumzuwühlen, um alsbald ein Deck Tarotkarten zutage zu fördern. »Ich bin mit meinen Studien in letzter Zeit recht gut vorangekommen und beschäftige mich jetzt mit der Kunst des Kartenlegens. Und ohne prahlen zu wollen, muss ich sagen, dass ich anscheinend eine Menge der magischen Fähigkeiten meiner Vorfahren in mir vereine. Die meisten Hexen können entweder zaubern oder Gedanken lesen oder in die Zukunft sehen. Ich habe euch doch von meiner Urururgroßmutter Amanda erzählt? Nun, sie hatte eine Tochter, meine Ururgroßmutter Theodora.« Unvermittelt kichere ich los, werde aber durch einen eisigen Blick von Thekla zum Schweigen gebracht. »Theodora war zu ihrer Zeit im ganzen Land für ihre Kartenlegekunst bekannt. Und im Buch der Schatten steht sogar«, hier senkt sie die Stimme zu einem Flüstern und zwingt uns dadurch, uns zu ihr hinüberzulehnen, »dass Otto von Bismarck keine seiner Entscheidungen getroffen hat, ohne Theodora vorher zu Rate zu ziehen. Ihr braucht gar nicht so ungläubig aus der Wäsche zu gucken«, sagt sie beleidigt und
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