Zauberkusse
ein riesiger Stein vom Herzen. Erleichtert ziehe ich mich wieder unter die Dusche zurück und summe vor mich hin.
In den nächsten Tagen ist so viel los, dass ich gar nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Wenn ich nicht gerade im L’Auberge bediene, bin ich rund um die Uhr auf der Baustelle und überwache die Renovierungsarbeiten, während ich gleichzeitig permanent mit dem Handy in irgendwelchen Warteschleifen hänge. Lieferanten, Ämter, Druckereien, irgendwas gibt es immer noch zu klären. Ich habe mir nämlich das ehrgeizige Ziel gesetzt, am ersten Adventswochenende zu eröffnen. Wohlwollend betrachte ich den superschicken Tresen aus dunklem Nussbaumholz und fahre mit der Hand über die lackierte Oberfläche, während ich, das Handy zwischen Ohr und Schulter eingeklemmt, versuche, meinen alten Schulfreund Robert an die Strippe zu kriegen, von dem Loretta berichtet hat, dass er soeben zum dritten Mal kurz vor dem Abschluss das Studienfach gewechselt hat.
»Ja, ich habe gemerkt, dass Philosophie doch nichts für mich ist«, bestätigt er mir dies, als ich ihn endlich erreiche. »Es war echt total interessant, aber so richtig viel damit machen kann man nicht.«
»Und was studierst du jetzt?«, erkundige ich mich, während ich Knut und Peter, meine beiden studentischen Hilfskräfte, auf einen Fleck an der Wand hinterm Tresen aufmerksam mache, wo die dunkelrote Farbe nicht richtig deckt.
»Sprachen und Kulturen Austronesiens«, kommt es wie aus der Pistole geschossen zurück.
»Wow«, sage ich beeindruckt, wobei ich keine Ahnung habe, wovon er da redet. In den nächsten Minuten, in denen er von seinem neuen Studiengang schwärmt, erfahre ich immerhin, dass Austronesien anscheinend die Sammelbezeichnung für die Inselwelt des Pazifischen Ozeans ist.
»Das ist alles unheimlich interessant, es gibt so viel zu lernen, alleine die unterschiedlichen Kultursprachen wie Tonga, Filipino, Bahasa Indonesia, um nur drei zu nennen«, plaudert Robert begeistert, während ich hin und wieder ein interessiertes »Ach was?« und »Hm, das klingt ja wirklich toll«, beisteuere.
Im Großen und Ganzen verstehe ich bloß Bahnhof und Bratkartoffeln. »Sag mal, was ich fragen wollte«, beeile ich mich zu sagen, als er endlich einmal Luft holt, »arbeitest du immer noch in der Redaktion vom ›Unicum‹?« Das ist die Universitäts-Zeitschrift, die gleich zwei Vorteile in sich vereint: Zum einen wird sie vorwiegend von meiner Zielgruppe gelesen und zum zweiten könnte ich dort rein theoretisch eine kostenlose Anzeige schalten. Zumindest, wenn ich mich mit einem Redaktionsmitglied gutstelle. Und siehe da, Robert ist noch immer aktiv an der Zeitschrift beteiligt, und anscheinend mit fast ebenso viel Herzblut dabei wie beim Erlernen von pazifischem Kulturgut. Ergeben lausche ich seinen Geschichten, doch die Viertelstunde meiner kostbaren Zeit ist gut angelegt, denn beim Auflegen habe ich sein Versprechen in der Tasche, dass im Unicum selbstverständlich die Eröffnung des ‚Café Engel’ eine ausgiebige Erwähnung finden wird. Für diesen Namen habe ich mich nämlich nun entschieden, nicht zuletzt deshalb, weil Gregor mich doch immer seinen Engel nennt. Zufrieden verstaue ich mein Telefon in der hinteren Tasche meiner Jeans und sehe mich im Laden um. Vor Freude beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Es wird einfach perfekt werden, wenn es endlich fertig ist. Und auch wenn der neue Boden, auf dem dieser unerträgliche Korinthenkacker vom Bauamt bestanden hat, ein großes Loch in meine Kasse gerissen hat, muss ich doch zugeben, dass das dunkle Laminat wunderschön aussieht. Nachdenklich starre ich vor mich hin. Ob der Raum groß genug ist, um hin und wieder einen Tanzabend zu veranstalten? Vermutlich nicht. Ein Klopfen am Fenster reißt mich aus meinen Überlegungen und ich erkenne Gregor, der, eine Pudelmütze auf dem Kopf, lächelnd durch das etwa handgroße, ausgerissene Loch im vor die Scheibe geklebten Packpapier zu mir hereinwinkt. Erfreut öffne ich ihm die Türe und lasse ihn eintreten.
»Hallo, mein Engel vom Café Engel!«, grinst er mich an.
»Das ist ja eine Überraschung, was machst du denn hier?«
»Ich wollte endlich mal sehen, warum ich dich eigentlich nur noch nachts zu Gesicht bekomme. Ah, jetzt wird mir einiges klar.« Damit wirft er einen anzüglichen Blick auf Knut, der gerade mit zwei Farbeimern aus der Küche kommt und streckt ihm die Hand zum Gruß hin, die dieser ergreift: »Hi, ich bin Gregor. Ihr
Weitere Kostenlose Bücher