Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
vorhergesehen. Sie holte Luft. Sie musste ihren wirklichen Namen angeben, sonst war das Zeugnis überhaupt nichts wert. »Althea Vestrit«, sagte sie ruhig.
»Das ist ja ein Mädchenname«, beschwerte sich der Kapitän, während er anfing, die Buchstaben in das Lederetikett zu stempeln.
»Das stimmt, Sir«, pflichtete sie ruhig bei.
»Was in Sas Namen haben sich deine Eltern dabei gedacht, dir einen Mädchennamen anzuhängen?«, fragte er, während er mit dem Wort Vestrit begann.
»Vermutlich hat ihnen der Name gefallen, Sir«, antwortete sie.
Dabei ließ sie seine Hände nicht aus den Augen, während er sorgfältig die Buchstaben in das Leder stempelte. Es war ein Schiffszeugnis: Alles, was sie brauchte, um Kyle Haven dazu zu bringen, seinen Eid zu halten und ihr die Viviace , ihr Schiff, zurückzugeben. Doch die Hand des Kapitäns war langsamer geworden und hielt dann inne. Er blickte ihr in die Augen und runzelte die Stirn. »Vestrit? Das ist doch ein Händlername, richtig?«
Plötzlich wurde ihr Mund trocken. »Ja…«, begann sie, aber er schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
Er wandte sich an seinen Ersten Maat. »Die Vestrits hatten doch dieses Schiff, wie hieß es noch gleich, dieses Zauberschiff?«
Der Maat zuckte mit den Schultern, und Kapitän Sickel drehte sich ruckartig zu ihr um. »Wie lautet der Name des Schiffs?«
»Die Viviace «, sagte sie gelassen. Ihre Stimme klang stolz, ob sie es nun wollte oder nicht.
»Und die Tochter des Kapitäns hat mit der Crew an Deck gearbeitet«, fuhr Kapitän Sickel langsam fort. Er starrte sie scharf an. »Du bist dieses Mädchen, hab ich recht?«
Seine Stimme klang hart und vorwurfsvoll.
Althea stand so aufrecht wie möglich. »Jawohl, Sir.«
Der Kapitän warf die Stechwerkzeuge angewidert auf den Tisch. »Schaff sie von meinem Schiff!«, fuhr er den Ersten an.
»Ich gehe freiwillig, Sir. Aber ich brauche dieses Zeugnis«, sagte Althea, als der Maat sich ihr näherte. Sie wich nicht zurück. Sich beschämen lassen, indem sie vor ihm floh, wollte sie auf keinen Fall.
Der Kapitän schnaubte angewidert. »Von mir kriegst du kein Zeugnis. Jedenfalls nicht mit dem Schiffsstempel darauf!
Glaubst du denn ernsthaft, ich würde mich freiwillig zum Gespött der Schlachterflotte machen? Hab die ganze Saison ein Weibsbild mit herumgeschippert, und keiner hat’s gemerkt?
Die würden schön über mich lachen! Ich sollte dir für diese Lüge deine Heuer abknöpfen. Kein Wunder, dass wir soviel Ärger mit den Seeschlangen hatten. Es war viel schlimmer als früher. Jeder weiß, dass eine Frau an Bord eines Schiffes Seeschlangen anzieht. Wir können von Glück sagen, dass wir lebendig hier angekommen sind, und das ist sicher nicht dein Verdienst. Schaff sie endlich hier raus!«
Den letzten Befehl hatte er seinem Maat zugebrüllt, dessen Miene die Meinung seines Kapitäns deutlich widerspiegelte.
»Mein Zeugnis!«, wiederholte Althea verzweifelt. Sie wollte es packen, aber der Kapitän schnappte es ihr vor der Nase weg. Um es dennoch zu bekommen, hätte sie ihn schon angreifen müssen. »Bitte!«, flehte sie ihn an, als der Maat unsanft ihren Arm packte.
»Schaff sie aus meiner Kajüte und von meinem Schiff!«, knurrte er. »Sei froh, dass ich dir noch die Zeit gebe, dein Zeug zusammenzupacken. Und wenn du dich nicht beeilst, dann werfe ich dich ohne das Zeug von Bord. Du verlogenes Flittchen. Mit wieviel Männern an Bord hast du geschlafen, damit du dein Geheimnis bewahren konntest?«, fragte er, während der Maat sie schon zur Tür zerrte.
Mit keinem, wollte sie wütend sagen. Mit gar keinem. Nun, sie hatte mit Brashen geschlafen. Aber das ging niemanden etwas an.
»Das ist nicht fair!«, würgte sie erstickt hervor.
»Es ist fairer als die Lügen, die du mir aufgebunden hast!«, brüllte Kapitän Sickel.
Der Maat bugsierte sie aus der Kajüte. »Schnapp dir dein Zeug!«, fauchte er sie wütend an. »Und wenn ich auch nur den Hauch eines Gerüchts in Candletown höre, jage ich dich und zeige dir, was wir mit verlogenen Huren anstellen!«
Er gab ihr einen Stoß, der sie fast zu Boden geworfen hätte. Sie gewann ihr Gleichgewicht wieder, als er die Tür hinter ihr zuschlug.
Schwankend vor Wut und Enttäuschung starrte sie auf das Stück Holz, das sich unüberwindlich zwischen ihr und ihrem Zeugnis geschlossen hatte. Es kam ihr vollkommen irreal vor. All die Monate harter Arbeit – und wofür? Die Handvoll Münzen war alles, was ein Schiffsjunge
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