Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
über seinen Körper und verblasste dann. »Es ist nicht richtig. ›Die, die sich erinnert‹, ist wie wir. Das sagen alle heiligen Schriften. Ich sehe jedoch nur eine Versorgerin mit einer silbrigen Hülle.
Trotzdem sagen mir alle meine Sinne, dass SIE nah ist. Ich verstehe das nicht.«
Verwirrt und staunend betrachteten sie die silbrige Versorgerin, die träge über ihnen dahin glitt. Sie hatte einen einzelnen Begleiter, eine schwere, weiße Seeschlange, die ihr in geringem Abstand folgte. Sie schwamm am oberen Rand der Fülle und hatte den Kopf hinaus in die Leere gestreckt.
»Er spricht mit ihr.«
Maulkin äußerte diesen Gedanken leise.
»Er bettelt.«
»Um Erinnerungen«, ergänzte Sessurea. Sein Kamm zitterte und war erwartungsvoll gespreizt.
»Nein!«
Maulkin klang ungläubig, beinahe wütend. »Um Nahrung! Er bettelt, dass sie ihn füttern soll.«
Sein Schwanz schlug so heftig aus, dass der Schlamm hochstieg.
»Das ist nicht richtig!«, trompetete er. »Das ist eine Verführung und ein Verrat! Ihr Duft ist der von ›Die, die sich erinnert‹, aber dennoch ist sie nicht von unserer Art. Und dieser hier spricht mit ihr, aber sie antwortet nicht, und dabei war es versprochen, für alle Zeiten versprochen, dass sie jedem antwortet, der sie bitten würde. Es ist nicht recht!«
Unter seiner Wut schimmerte großer Schmerz durch. Seine Mähne stand in voller Größe ab und er versprühte in einer erstickenden Wolke Gift. Shreeva wandte den Kopf ab.
»Maulkin«, drängte sie ihn ruhig, »Maulkin, was sollen wir tun?«
»Ich weiß nicht«, antwortete er verbittert. »In den Heiligen Schriften steht nichts davon, und ich finde auch nichts in den Fragmenten meiner Erinnerungen. Ich weiß es nicht. Ich selbst werde ihr folgen, einfach um zu versuchen, es zu verstehen.«
Er sprach leiser. »Wenn ihr zum Rest des Knäuels zurückkehren wollt, werde ich euch das nicht vorwerfen. Vielleicht habe ich euch fehlgeleitet. Vielleicht sind alle meine Erinnerungen nur eine Täuschung meiner Gifte.«
Seine Mähne fiel plötzlich vor Enttäuschung schlaff zusammen. Er sah sich nicht einmal um, ob sie ihn begleiteten, als er der silbrigen Versorgerin und ihrem weißen Schmarotzer folgte.
»Kyle! Lass ihn los!«
Viviace schrie ihm die Worte zu, aber es klang nicht befehlend, sondern nur ängstlich. Sie beugte sich vor und schlug nach der Seeschlange. »Geh weg, du mieses Ding!
Geh weg von mir! Du bekommst ihn nicht, du wirst ihn niemals bekommen!«
Ihre Bewegungen ließen das Schiff schwanken. Sie brachte damit ihren Rumpf aus der Balance und neigte das Schiff gefährlich zur Seite. Mit ihren hölzernen Armen schlug sie vergebens nach dem Biest und brachte damit das ganze Schiff zum Schaukeln. »Gehweg! Gehweg!«, kreischte sie.
»Wintrow! Kyle!«
Als Kyle Wintrow zur Reling und der erwartungsvollen Seeschlange zerrte, warf Viviace den Kopf zurück. »Gantry! In Sas Namen, komm herauf! GANTRY!«
Im ganzen Schiff wurden verwirrte Stimmen laut. Mitglieder der Mannschaft schrien sich an und wollten wissen, was los war.
Die Sklaven in den Laderäumen gaben unartikulierte Schreie von sich. Sie hatten vor allem Angst, vor Feuer, einem Schiffbruch oder dem Sturm, der sie vielleicht packte, während sie angekettet in der Dunkelheit unter der Wasserlinie vegetierten. Die Furcht und das Elend im Schiff waren plötzlich fassbar. Es war eine Atmosphäre, die nach menschlichen Abfällen und Schweiß stank und einen kupfernen Geschmack in Kyles Mund hinterließ, sowie eine fettige Schicht der Hoffnungslosigkeit auf seiner Haut.
»Hör auf! Hör auf!«, hörte Kyle sich selbst heiser rufen, aber er wusste nicht genau, wem er das befahl. Er packte Wintrow an seiner zerschlissenen Robe und schüttelte den schlaffen Jungen, dabei war es gar nicht sein Sohn, gegen den er kämpfte.
Gantry tauchte plötzlich an Deck auf, barfuß und ohne Hemd.
Sein blasses Gesicht zeigte, dass er abrupt geweckt worden war.
»Was ist los?«, wollte er wissen. Als er den Kopf der Seeschlange entdeckte, der in der Höhe des Decks schwankte, schrie er auf.
Noch nie hatte Kyle ihn der Panik so nah gesehen. Gantry hob einen Pollerstein auf und packte ihn mit beiden Händen. Dann holte er aus und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen die Seeschlange. Kyle hörte, wie seine Muskeln vor Anstrengung knackten. Die Seeschlange wich dem Stein mit einer eleganten Bewegung ihres Halses aus und sank dann zurück unter die Wasseroberfläche. Man erkannte nur
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