Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
erfüllen. Wenn es dir nicht passt, dass du einen Laderaum voller Sklaven hast, ja, dann segle gefälligst schneller, verdammt noch mal! Je eher wir nach Chalced kommen, desto schneller sind wir sie los. Und was Wintrow angeht…
Den kann nichts glücklich machen. Er will sich nicht wie mein Sohn benehmen und auch nicht wie ein Schiffsjunge. Er hat sich selbst zum Sklaven machen lassen. Und genau das ist er jetzt auch. Das ist dein Ebenbild, was man ihm ins Gesicht tätowiert hat. Also, er gehört dir, und du kannst von mir aus mit ihm tun, was du willst. Wenn er dir nicht gefällt, kannst du ihn auch gern über Bord werfen, soweit es mich angeht.«
Kyle hielt atemlos inne. Alle starrten ihn an. Und der Ausdruck auf Gantrys Gesicht gefiel ihm nicht. Er sah ihn an, als wäre Kyle verrückt geworden. Und in seinem Blick schwang ein tiefes Unbehagen mit. Kyle mochte es nicht.
»Gantry!«, fuhr er den Maat an. »Übernimm die Wache.«
Er sah nach oben. »Setz alle Segel, die wir haben, und sieh zu, dass sich die Männer bewegen! Beweg diesen Kahn vorwärts!«
Damit marschierte er in seine Kabine zurück. Er hatte Weihrauch in Jamaillia-Stadt gekauft, auf Empfehlung eines erfahrenen Sklavenschiffers. Er würde es anzünden und damit eine Weile dem Gestank dieser Sklaven entkommen. Und auch allem anderen.
Das Schiff hatte sich fast wieder beruhigt. Auf einem Sklavenschiff war es natürlich niemals vollkommen friedlich.
In den Laderäumen schrie immer jemand. Menschen bettelten um Wasser, nach Luft, und einige Stimmen flehten einfach nur um ein wenig Sonnenlicht. Zwischen den Sklaven flammten Kämpfe auf. Es war erstaunlich, wieviel Schaden aneinander gekettete Männer sich gegenseitig zufügen konnten. Das enge Quartier, der Gestank, die muffigen Rationen von Schiffszwieback und Wasser brachten sie dazu, sich aufeinander zu stürzen wie Ratten, die man in ein Fass gesperrt hatte.
Ihnen geht es gar nicht soviel anders als Viviace und mir, dachte Wintrow. Auf ihre Art waren auch sie eng aneinander gekettet. Sie hatten keinen Raum, sich voneinander zu trennen, nicht einmal in ihren Gedanken und Träumen. An einem solch beengten Raum konnte keine Freundschaft gedeihen. Vor allem nicht, wenn zwischen ihnen als unsichtbarer Dritter das Schuldbewusstsein stand. Er hatte sie im Stich gelassen, sie ihrem Schicksal überlassen. Und für sie sprach der eine, geflüsterte Kommentar, als sie sein gezeichnetes Gesicht das erste Mal gesehen hatte. »Daran bin ich Schuld«, hatte sie gesagt. »Wäre ich nicht gewesen, wäre dir das nicht zugestoßen.«
Er hatte ihr zugestimmt. »Das ist wahr. Aber es bedeutet nicht, dass es deine Schuld war.«
Ihrem entsetzten Blick hatte er entnehmen können, wie sehr seine Worte sie verletzt hatten. Aber er war zu erschöpft und zu sehr von seiner eigenen Lage eingenommen gewesen, um diese Worte mit noch nutzloseren Worten abzumildern.
Das war vor Stunden gewesen, bevor sein Vater ihn angegriffen hatte. Seit Gantry weggegangen war, hatte sie kein Wort gesagt.
Wintrow hatte sich an ihrem Bug zusammengekauert und fragte sich, was wohl in seinen Vater gefahren sein mochte. Ob er ihn noch einmal so überraschend angriff? Ihm fehlte einfach die Lust, sich zu unterhalten, und er empfand Viviaces Schweigen als Balsam für seine Seele. Auch wenn er nicht wusste, warum sie nichts sagte.
Als sie schließlich das Schweigen brach, klangen ihre Worte beinah banal. »Was willst du tun?«
Die Sinnlosigkeit dieser Frage ging ihm nahe. Er faltete den nassen Lappen auseinander und wieder zusammen, um eine kühlere Stelle zu finden, und drückte ihn dann an sein geschwollenes Gesicht. Die Worte entfuhren ihm beinahe spontan. »Tun? Warum fragst du mich das? Ich habe keine freie Wahl für das, was ich tun will. Du solltest deinem Sklaven besser deine Befehle übermitteln.«
»Ich habe keinen Sklaven«, erwiderte Viviace mit eisiger Würde. Aber ihre Stimme hatte einen wütenden Unterton.
»Wenn du deinem Vater eine Freude machen willst, indem du dich selbst einen Sklaven nennst, dann sag wenigstens, dass du ihm gehörst und nicht mir.«
Seine aufgestaute Frustration fand endlich ein Ziel. »Ich würde eher sagen, dass mein Vater vorgehabt hat, dir eine Freude zu machen, ganz gleich, was es mich kostet. Wenn du nicht eine so merkwürdige Natur hättest, dann hätte er mich niemals gezwungen, bei dir an Bord zu bleiben.«
»Meine merkwürdige Natur? Und woher ist die wohl gekommen? Nicht aus meinem freien
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