Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
oder ob seine Moral vielleicht ein wenig zu flexibel geworden war. Er beeilte sich lieber, dass er an Land kam.
Sie waren zu fünft, einschließlich Wintrow und Mild. Einer von ihnen war Comfrey. Wintrow stellte fest, dass er einfach nicht den Blick von dem Mann abwenden konnte. Doch genauso wenig konnte er ihm direkt in die Augen sehen. Da saß der Mann, der diese obszöne Sache mit der Kaffeetasse seines Vaters gemacht hatte, und Wintrow wusste immer noch nicht, ob er entsetzt oder amüsiert sein sollte. Er schien ein witziger Bursche zu sein und machte einen Scherz nach dem anderen, während der Rest der Crew sich in die Riemen legte. Er trug eine zerrissene rote Mütze mit billigen Messinganhängern, und sein Grinsen entblößte eine klaffende Zahnlücke. Als er Wintrows verstohlene Blicke bemerkte, zwinkerte er ihm zu und fragte ihn laut, ob er mit ins Bordell kommen wollte.
»Wahrscheinlich besorgen es dir die Mädchen zum halben Preis. Kleine Männer wie du regen ihre Phantasie an, habe ich gehört.«
Trotz seiner Verlegenheit musste Wintrow grinsen, als die anderen lachten. Er begriff plötzlich das gutmütige Wesen hinter den vielen Scherzen.
Sie zogen das schmale Boot an Land und hoben es weit über die Flutlinie. Ihre Freiheit dauerte nur bis Sonnenuntergang, und zwei der Männer beschwerten sich bereits, dass man den besten Wein und die schönsten Frauen erst danach auf den Straßen fand.
»Glaub ihnen nicht, Wintrow«, sagte Comfrey tröstend. »In Cress gibt es jederzeit jede Menge davon. Aber die beiden bevorzugen einfach die Dunkelheit für ihre Vergnügungen. Mit solchen Gesichtern brauchen sie auch Schatten, um eine Hure zu überreden, sie zu nehmen. Komm du mit mir, dann sorge ich dafür, dass du dich prächtig amüsierst, bevor wir wieder zum Schiff zurück müssen.«
»Ich möchte selbst noch einige Sachen vor Sonnenuntergang erledigen«, erwiderte Wintrow entschuldigend. »Ich möchte die Steinmetzarbeiten an der Idishi-Halle sehen und die Friese an der Heldenmauer.«
Die Männer sahen ihn neugierig an. Aber es war Mild, der fragte: »Woher kennst du das? Warst du schon mal in Cress?«
Er schüttelte den Kopf, gleichzeitig stolz und schüchtern.
»Nein. Aber das Schiff war schon mal hier. Viviace hat mir davon erzählt, und auch, dass mein Großvater sie so wunderschön fand.
Ich wollte sie gern selbst sehen.«
Schweigen antwortete ihm, und einer der Matrosen machte eine winzige Bewegung mit dem kleinen Finger der linken Hand, die vielleicht eine Beschwörung von Sas Schutz gegen böse Geister sein mochte. Erneut war es Mild, der sprach: »Weiß das Schiff wirklich alles, was Kapitän Vestrit wusste?«
Wintrow zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass alles, was sie mit mir teilt, sehr… sehr lebhaft ist. Fast, als wäre es meine Erinnerung.«
Er hielt inne und fühlte sich plötzlich unbehaglich. Eigentlich wollte er nicht darüber reden.
Es ist zu privat, dachte er, diese Verbindung zwischen mir und der Viviace . Nein, mehr als das. Es ist eine Intimität. Das Schweigen lastete unbehaglich auf den Männern. Diesmal rettete sie Comfrey. »Gut, Jungs, ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich komme nicht so oft an Land. Ich gehe in die Stadt, in eine bestimmte Straße, wo sowohl die Blumen als auch die Frauen süß erblühen.«
Er sah Mild an. »Sorg dafür, dass ihr, du und Wintrow, rechtzeitig zum Boot zurückkommt. Ich will nicht nach euch suchen müssen.«
»Ich wollte nicht mit Wintrow gehen!«, protestierte Mild. »Ich habe ganz was anderes vor als Mauern zu betrachten.«
»Ich brauche keinen Wächter«, fügte Wintrow hinzu. Er sprach den Gedanken laut aus, der sie seiner Meinung nach beunruhigte. »Ich werde nicht versuchen wegzulaufen. Ich gebe euch mein Wort, dass ich vor Sonnenuntergang zum Boot zurückkomme.«
Ihre überraschten Mienen verrieten ihm, dass sie gar nicht an eine Flucht gedacht hatten. »Nein, natürlich nicht«, bemerkte Comfrey trocken. »Auf der Klaueninsel kannst du nirgendwohin laufen, und die Caymarans sind nicht gerade sehr freundlich Fremden gegenüber. Wir haben uns keine Sorgen darüber gemacht, dass du weglaufen könntest, Wintrow. Cress kann für einen Seemann sehr gefährlich sein, wenn er allein herumstrolcht. Und zwar nicht nur für den Schiffsjungen, sondern für jeden Seemann. Du solltest mit ihm gehen, Mild.
Wie lange kann es schon dauern, sich eine Mauer anzuschauen?«
Mild wirkte nicht sonderlich
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