Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Türme der Stadt, die sich in die Beuge des winzigen Hafens schmiegte. Er war schweigsam, wie oft, aber in letzter Zeit war es eher ein behagliches denn ein elendes Schweigen gewesen. Die Viviace dankte Mild von ganzem Herzen. Seit er sich allmählich mit Wintrow angefreundet hatte, war der Junge richtig aufgeblüht.
Wintrow war zwar nicht direkt fröhlich, aber er hatte mittlerweile wenigstens ein bisschen was von der Kühnheit, die man von einem Schiffsjungen erwartete. Als Mild diesen Posten innegehabt hatte, war er mutig und lebhaft gewesen. Als er dann zum Matrosen aufgestiegen war, hatte er sich eine nüchternere Haltung zu seiner Arbeit zugelegt, wie es sich auch gehörte.
Wintrow hingegen hatte deutlich gezeigt, dass er nicht mit dem Herzen bei der Arbeit war. Die Versuche der Seemänner, mit ihm zu scherzen, hatte er ignoriert oder missverstanden, und sein Trübsinn förderte nicht gerade den Wunsch der Leute, mit ihm Zeit zu verbringen. Doch seitdem er lächelte, wenn auch nur selten, und gutmütig auf Scherze der Seeleute reagierte, wurde er allmählich akzeptiert. Sie waren jetzt eher geneigt, ihm gute Ratschläge zu geben. Die bewahrten ihn davor, Fehler zu machen, die seine Arbeit nur verdoppelt hätten. Er baute auf jeden noch so kleinen Erfolg und meisterte seine Aufgaben mit der Geschwindigkeit eines Verstandes, der dazu ausgebildet war, rasch zu lernen. Ein gelegentliches Lob weckte in ihm das Gefühl, zur Mannschaft zu gehören. Einige fingen sogar an, sein freundliches Wesen und seine nachdenkliche Art nicht mehr unbedingt als Schwäche zu sehen. Die Viviace begann für ihn zu hoffen.
Sie sah ihn an. Sein schwarzes Haar hatte sich aus seinem Zopf gelöst und fiel ihm in die Stirn. Mit einem schmerzlichen Stich sah sie ein Spiegelbild, ein Bild des jungen Ephron Vestrit, als er im selben Alter gewesen war. Sie drehte sich um und reichte ihm die Hand. »Leg deine Hand in meine«, bat sie ihn ruhig.
Wundersamerweise gehorchte er. Sie wusste, dass er ihr immer noch misstraute und dass er nicht sicher war, ob sie von Sa war oder nicht. Aber als er seine schwielige Hand in ihre legte, schloss sie ihre gewaltigen Finger um sie, und sie waren plötzlich eins.
Er sah mit den Augen seines Großvaters. Ephron hatte diesen Hafen und das Inselvolk geliebt. Die glänzenden weißen Türme und Kuppeln ihrer Stadt waren umso überraschender, wenn man die geringe Größe der Siedlung bedachte. Der größte Teil des Volkes der Caymara lebte hinter den grünen Dächern des Waldes. Ihre Häuser waren grün und bescheiden. Sie bestellten keine Felder, keine Äcker, sondern waren Jäger und Sammler.
Aus der Stadt führten keine gepflasterten Straßen, sondern gewundene Pfade, auf denen man nur zu Fuß und mit einem Handkarren vorwärts kam. Sie hätten als primitives Volk gelten können, wäre da nicht die winzige Stadt auf der Klaueninsel gewesen. Hier hatten sich alle Bedürfnisse nach Baukunst und Technik Luft verschaffen und ausdrücken können. Es waren zwar nicht mehr als dreißig Gebäude, nicht eingerechnet die Fülle der Buden, die die Marktstraße säumten, und die groben Holzgebäude, die am Hafen lagen und dem Handel dienten.
Aber jedes der Gebäude, die das weiße Herz der Stadt bildeten, war ein Wunder der Architektur und Handwerkskunst. Sein Großvater hatte sich immer die Zeit genommen, durch das marmorne Herz der Stadt zu flanieren. Er konnte sich die gemeißelten Gesichter der Helden ansehen, die Friese der Legenden und die Bögen, die sowohl von gemeißelten als auch lebenden Pflanzen überzogen waren »Und du hast es hergebracht, viele der Marmorgesichter. Ohne dich und ihn…
Ah, ich verstehe. Es ist fast wie meine Fenster. Das Licht scheint durch sie hindurch, um die Arbeit meiner Hände zu erhellen. Durch deine Arbeit erscheint Sas Licht in seiner ganzen Schönheit…«
Er hauchte die Worte, ein kaum vernehmliches Flüstern, das sie fast nicht hören konnte. Doch viel geheimnisvoller als diese Worte waren die Gefühle, die er mit ihr teilte. Es war wie eine zögernde Vereinigung, die er mehr als alles andere zu schätzen schien. Er betrachtete die aufwendig gestalteten Fassaden der Gebäude nicht als Kunstobjekte, an denen man sich einfach nur erfreuen konnte. Stattdessen waren sie für ihn ein Ausdruck von etwas, das sie nicht fassen konnte, ein Zusammenkommen von Schiff, Händler und Handelsvolk, aus dem nicht nur physische Schönheit resultierte, sondern die künstlerische Kraft Sas.
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