Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Sie kannte das Wort nicht, sondern konnte nur das Konzept dahinter zu verstehen suchen. Freude verkörpert in… das Beste von Mensch und Natur kommt zusammen in einem permanenten Ausdruck… Die Rechtfertigung für alles, was Sa so verschwenderisch der Welt vermacht hatte. Sie spürte eine brennende Euphorie in ihm, die sie noch nie zuvor in einem seiner Art wahrgenommen hatte, und erkannte plötzlich, dass es dies war, wonach er sich so glühend sehnte. Die Priester hatten ihn gelehrt, die Welt mit diesen Augen zu sehen, hatten in ihm sanft eine Lust nach unverfälschter Schönheit und Güte geweckt. Er glaubte, dass es seine Bestimmung war, der Güte zu folgen, sie in all ihren Formen zu finden und zu bejubeln. An das Gute zu glauben.
Viviace hatte versucht, zu teilen und zu lehren. Stattdessen war ihr gegeben und war sie belehrt worden. Es überraschte sie, dass sie sich von ihm zurückzog, den vollkommenen Kontakt unterbrach, den sie selbst hergestellt hatte. Das war etwas, worüber sie nachdenken musste. Und vielleicht musste sie allein sein, um es in seinem ganzen Ausmaß zu bedenken. Als sie dies dachte, begriff sie erneut die ungeheure Wirkung, die Wintrow auf sie ausübte.
Er hatte nur wenig Zeit. Er wusste, dass es weder von seinem Vater noch von Torg gekommen war. Sein Vater war schon vor Stunden an Land gegangen, um die Verhandlungen zu beginnen. Er hatte Torg mitgenommen. Also kam die Entscheidung, ihm mit anderen Zeit an Land zu gewähren, von Gantry. Das verwirrte Wintrow. Er wusste, dass der Erste Maat die volle Befehlsgewalt über alle Männer an Bord hatte und nur das Wort des Kapitäns mehr galt. Dennoch hatte er nicht geglaubt, dass Gantry sich seiner Existenz überhaupt so richtig bewusst war. Der Mann hatte kaum mit ihm gesprochen, seit er an Bord war. Dennoch wurde sein Name mit der ersten Gruppe von Männern ausgerufen, die an Land durften, und er spürte, wie ihn diese Aussicht begeisterte. Es war zu viel Glück, um lange Fragen zu stellen. Jedes Mal, wenn sie in Chalced vor Anker gegangen waren, hatte er sehnsüchtig an der Reling gestanden und auf das Land gestarrt. Aber man hatte ihm nie erlaubt, das Schiff zu verlassen. Der Gedanke, festen Boden unter den Füßen zu haben und etwas sehen zu können, das er noch nicht kannte, versetzte ihn beinahe in Ekstase. Wie die anderen, die das Glück hatten, zur ersten Gruppe zu gehören, stürmte er unter Deck, um seine Kleidung zu wechseln, sich das Haar zu bürsten und seinen Zopf neu zu flechten. Bei der Kleidung zögerte er einen Moment.
Torg hatte den Auftrag bekommen, Wintrow Kleidung zu besorgen, bevor sie Bingtown verließen. Sein Vater hatte Wintrow weder Geld noch Zeit anvertraut, dass er sich die notwendigen Kleidungsstücke und die Ausrüstung kaufen konnte, die er für die Reise brauchte. So war Wintrow zu zwei Hemden und Hosen für die Arbeit gekommen, beide sehr billig verarbeitet. Er vermutete, dass Torg einen schönen Batzen von dem abgezwackt hatte, was Wintrows Vater ihm für die Kleidung gegeben hatte. Außerdem hatte er Wintrow die typische Kleidung für den Landgang besorgt: ein grell gestreiftes Matrosenhemd und eine schwarze, grobe Hose, ebenfalls so billig hergestellt wie seine Deckkleidung. Die Sachen passten ihm nicht mal besonders gut, weil Torg nicht sonderlich auf die Größe geachtet hatte. Vor allem das Hemd war viel zu groß. Seine Alternative war seine braune Priesterrobe.
Sie war mittlerweile befleckt und an manchen Stellen zerrissen und auch gekürzt, um das Ausfransen zu verhindern sowie um Material für die notwendigsten Flickarbeiten zu liefern. Wenn er sie anzog, würde er erneut proklamieren, dass er eben dies war: ein Priester, kein Seemann. Er würde alle Achtung verlieren, die er sich bei seinen Schiffsgefährten inzwischen erworben hatte.
Als er das gestreifte Hemd und die schwarze Hose anzog, sagte er sich, dass dies keine Verleugnung seiner Priesterschaft war, sondern einfach nur eine praktische Wahl. Wenn er sich unter die Bevölkerung dieser merkwürdigen Stadt als Priester von Sa gemischt hätte, dann wäre ihm sicherlich die Freigiebigkeit entgegengebracht worden, die einem Priester zustand. Es wäre unehrlich gewesen, solche Geschenke der Gastfreundschaft zu suchen oder gar zu akzeptieren, wenn er eigentlich nicht als Priester unter ihnen weilte, sondern als Seemann. Entschlossen schob er die nagenden Zweifel darüber beiseite, ob er vielleicht in letzter Zeit zu viele Kompromisse schloss
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