Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
dass die Menschen mit Spott auf Sas Ideal reagiert hatten, dass alle Menschen geschaffen waren, um Kreaturen der Güte und Schönheit zu werden. Wo war das Gute in dem jungen Wächter, dem es soviel Spaß gemacht hatte, ihn zusammenzuschlagen?
Wo war das Gute in der Frau mit dem Geschwür an der Lippe, die gegen Geld mit ihm geschlafen hätte? Er kam sich plötzlich jung und dumm vor und ungeheuer leichtgläubig. Er war ein Narr. Ein dummer Narr. Der Schmerz dieser Erkenntnis brannte genauso real in ihm wie der seiner Verletzungen. Und es wurde ihm plötzlich schwer ums Herz. Er presste die Augen zusammen und wünschte, er wäre woanders, wo sich niemand so fühlen müsste.
Nach einem Moment öffnete er die Augen und stand auf. Das Schlimmste war, dass er noch immer zum Schiff zurückkehren müsste. Diese Erfahrung wäre schon hart genug, wenn er anschließend in sein friedliches Kloster hätte gehen können.
Aber von diesem unsinnigen Kampf an Bord der Viviace zurückzukehren, dort Torgs unbekümmerte Brutalität miterleben und die Verachtung seines Vaters erdulden zu müssen war fast mehr, als er ertragen konnte. Aber welche Alternative hatte er schon? Sollte er sich verstecken und ohne jedes Geld als verachteter Vagabund in Cress bleiben? Er seufzte, aber sein Mut sank nur noch mehr. Er stapfte durch den matschigen Dreck zum Eingang der Gasse und sah dann zur Sonne im Westen. Die Zeit, die eben noch so kurz gewesen war, um eine Besichtigung zu machen, schien auf einmal unendlich lang. Er sollte den Rest der Mannschaft der Viviace suchen.
Etwas anderes wollte er in Cress weder tun noch sehen.
Er schlenderte ohne Hemd über die Straßen und ignorierte das Grinsen der Leute, die Bemerkungen über seine Prellungen und Beulen machten. Dann stieß er auf eine Gruppe von Männern, die offenbar von einem anderen Schiff kamen, das hier angelegt hatte. Sie trugen alle ehemals weiße Kopftücher mit einer Amsel als Abzeichen. Sie lachten und warfen sich kumpelhafte Beleidigungen an den Kopf, als sie von einem Bordell in eine Taverne gingen. Dann sahen sie Wintrow.
»Oh, du armer Kerl!«, rief einer in gespieltem Mitleid. »Hat sie dich abgewiesen? Und auch noch gleich dein Hemd als Beute behalten?«
Diese Bemerkung löste schallendes Gelächter aus.
Er ging weiter.
Als er um eine Ecke bog, war er sich plötzlich sicher, dass er die Matrosengasse gefunden hatte. Es lag nicht nur der Wehende Schleier in dieser Gasse, der von einem Schild angekündigt wurde, auf dem eine Frau abgebildet war, die nur einen Schleier trug, den der Wind von ihr wegzog, sondern die Schilder der anderen ehemaligen Tavernen waren ebenfalls genauso anzüglich. Die primitiven Schilder signalisierten die Spezialitäten der entsprechenden Bordelle. Offensichtlich hatten ihre Besitzer wenig Zutrauen zu den orthographischen Fähigkeiten der Seeleute.
Es gab noch andere, billigere Vergnügungen an der Straße. Eine Bude bot billige Glücksbringer, Tränke und Amulette feil.
Vertrocknete Glückshauben von Neugeborenen, die einen Mann vor dem Ertrinken bewahren sollten, ein bisschen Horn, das die Männlichkeit steigerte, magische Öle, die einen Sturm beruhigen konnten. Wintrow ging an dem Stand vorbei und bedachte die Kunden mit einem mitleidigen Blick, die leichtgläubig genug waren, diese Waren zu erstehen. Weiter unten auf der Straße stand ein Dompteur in einem abgeteilten Viereck. Er bot den Passanten an, gegen eine mit Geld gefüllte Börse mit seinem Bären zu ringen. Selbst mit seinem Maulkorb und den Krallen, die zu Stümpfen abgeschliffen waren, wirkte der Bär ehrfurchtgebietend. Eine kurze Kette band seine Hinterläufe, während eine schwerere Kette um seinen Hals lag und von dem Besitzer des Bären gehalten wurde. Der Bär bewegte sich ständig, ein beunruhigter, rastloser Fleischberg.
Mit seinen kleinen Augen musterte er die Menschenmenge.
Wintrow fragte sich gerade, welcher Idiot sich wohl würde breitschlagen lassen, diese Wette anzunehmen, als er ein bekanntes Gesicht erblickte. Comfrey stützte sich grinsend auf einen Gefährten und redete mit dem Dompteur. Eine kleine Gruppe von Zuschauern, meistens Seeleute, schloss aufgeregt ihre Wetten ab.
Wintrow war versucht, weiterzugehen und Mild zu suchen.
Da jedoch erkannte er Mild unter denen, die Wetten abschlossen. Seufzend trat er zu ihm. Mild sah ihn grinsend an, während er sich näherte. »Heh, komm schon, Wintrow Du hast Glück. Comfrey wird mit dem Bären ringen. Setz dein
Weitere Kostenlose Bücher