Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
Schrei des Jüngeren folgten ihm, aber Wintrow lief jetzt so schnell er konnte. Das entzückende Mauerwerk, das er vorher noch bewundert hatte, war jetzt nichts weiter als ein Hindernis, das er auf dem Weg zurück zum Schiff überwinden musste. Die breiten Straßen, die zuvor so einladend gewirkt hatten, schienen ihm jetzt extra so angelegt, damit man ihn besser verfolgen konnte. Er schoss an den Leuten vorbei, die vor ihm zurückwichen und ihm neugierig hinterhersahen. Er lief ohne Hemd, bog um die Ecken und blickte nicht zurück, aus Furcht, dass sie ihn immer noch verfolgten.
Als die Straßen schmaler wurden und sich durch die Reihen der hölzernen Lagerhäuser und der baufälligen Kneipen und Bordelle schlängelten, wurde er etwas langsamer und taumelte.
Er sah sich um. Ein Tätowierungsladen. Ein billiger Schiffsausrüster. Eine Taverne. Noch eine Taverne. Er kam an eine Gasse und betrat sie, ohne auf den Schmutz zu achten, durch den er waten musste. In der Mitte lehnte er sich an eine Tür und schöpfte erst einmal Atem. Sein Rücken und seine Schultern schmerzten, vor allem die Stelle, wo der Stein seine Haut abgeschürft hatte. Er berührte vorsichtig seinen Mund. Er schwoll bereits an. Die Beule auf seinem Kopf war nichts weiter als, nun ja, als eine mächtige Beule. Eine Sekunde überlegte er, wie sehr der Wachtposten ihn wohl hatte verletzen wollen.
Hatte er ihm den Schädel spalten wollen, und hätte er ihn totgeschlagen, wenn er nicht weggelaufen wäre? Er hatte schon oft gehört, dass die Stadtwache Fremden und Seeleuten übel mitspielte, selbst in Bingtown. Er hatte immer angenommen, dass es nur denen widerfuhr, die betrunken waren, schlechtes Benehmen zeigten oder sich sonst irgendwie anstößig benahmen.
Doch heute war es ihm passiert. Warum? Weil ich wie ein Seemann angezogen bin, sagte er sich ruhig. Einen unangenehmen Moment dachte er, dass dies vielleicht eine Strafe von Sa war, weil er seine Priesterrobe nicht getragen hatte. Er hatte Sa verleugnet, und als Vergeltung hatte Sa ihm seinen Schutz verweigert. Wintrow schob diesen Gedanken beiseite.
So redeten Kinder und abergläubische Leute über Sa, als wäre er nichts weiter als ein großer und rachsüchtiger Mensch. Nein.
Das war nicht die Lektion, die er heute gelernt hatte. Aber was konnte er nun daraus lernen? Da die Gefahr jetzt gebannt war, flüchtete sich sein Verstand in die gewohnte Übung. Man konnte aus jeder Erfahrung etwas lernen, ganz gleich, wie schrecklich sie sein mochte. So lange man das im Auge behielt, konnte der Geist über alles die Oberhand gewinnen. Erst wenn man nachgab und das Universum als ein chaotisches Sammelsurium von unglücklichen oder grausamen Ereignissen betrachtete, verzweifelte man.
Er atmete leichter. Sein Mund und sein Hals waren zwar trocken, aber er wollte noch nicht nach Wasser suchen. Er schob dieses Verlangen so weit wie möglich von sich und tauchte stattdessen in seine ruhige Mitte ab. Er holte weiter ruhig Luft und öffnete sich, um die Lektion zu begreifen. Er zwang sich dazu, dass weder sein Wille noch seine Gefühle sie beeinflussten. Was konnte er daraus lernen? Was konnte er mitnehmen?
Der Gedanke, der ihm kam, schockierte ihn. Ganz deutlich erkannte er seine eigene Leichtgläubigkeit. Er hatte die Schönheit der Stadt gesehen und sie so interpretiert, dass ihretwegen auch das Volk, das hier lebte, einen schönen Geist haben müsste. Er war in der Erwartung hierher gekommen, im Lichte Sas begrüßt und empfangen zu werden. Sein Vorurteil war so stark gewesen, dass er alle Warnungen in den Wind geschlagen hatte, an die er sich jetzt nur allzu deutlich erinnerte. Seine Schiffskameraden hatten ihn gewarnt, die feindselige Haltung der Wächter hatte ihn gewarnt, wie auch die unheilvollen Blicke der Stadtbewohner…
Er hatte sich wie ein übermäßig freundliches Kind einem knurrenden Hund genähert. Es war sein eigener Fehler, dass er gebissen worden war.
Eine Woge tiefer Verzweiflung überkam ihn. Sie war schlimmer als alles, was er jemals empfunden hatte. Er war nicht darauf vorbereitet und sank auf den Boden. Es war hoffnungslos. Alles war hoffnungslos. Er würde niemals mehr zu seinem Kloster zurückkehren oder zum Leben in Meditation, das er so vermisste. Er würde wie so viele andere Menschen werden, die er kennengelernt hatte, und glauben, dass alle Menschen seine geborenen Feinde waren. Und dass nur Grobheit Freundschaft oder Liebe erschaffen konnte. Wie oft hatte er gehört,
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