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Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen

Titel: Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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reagierte genauso schnell auf Befehle wie alle anderen und bemühte sich jeden Tag, die Arbeit eines Mannes zu tun. Er war jetzt genauso fähig wie jeder andere Schiffsjunge und bewältigte auch immer besser die Aufgaben eines erfahrenen Matrosen. Jedoch bildete er seinen Geist genauso wie seinen Körper und verglich die Art, wie sein Vater ein Schiff kommandierte, mit den Befehlen, die Gantry gab. Ein Teil seines Eifers entsprang einfach dem Hunger eines Verstandes, der gewohnt war zu lernen. Da er aller Bücher und Schriftrollen beraubt war, nahm er jetzt stattdessen die Lektionen von Wind und Wellen auf. Er akzeptierte die körperliche Arbeit auf dem Schiff, wie er einst die niedere Arbeit im Obstgarten des Klosters akzeptiert hatte. Es waren Aufgaben, die ein Mann erfüllen musste, wenn er denn ein solches Leben führen musste, und es stand einem Mann an, sie auch gewissenhaft zu erledigen. Aber Viviace wusste auch, dass es noch einen zweiten Beweggrund für ihn gab, seetauglich zu werden. Er wollte der Mannschaft unbedingt durch Taten beweisen, dass er weder Angst hatte, notwendige Risiken einzugehen, noch die Arbeit eines Seemanns verachtete. Es war der Vestrit in ihm, der ihn dazu brachte, den Kopf hoch zu halten und der Verachtung zu trotzen, die Torg und die Mannschaft ihm entgegenbrachten.
    Wintrow würde sich für seine Entscheidung in Cress nicht entschuldigen. Er hatte nicht das Gefühl, falsch gehandelt zu haben. Aber das konnte nicht verhindern, dass er unter der Geringschätzung litt, die ihm von der Mannschaft entgegenschlug.
    Doch das war vor dem Unfall gewesen.
    Er saß mit gekreuzten Beinen auf Deck und hatte die verletzte Hand in seinen Schoß gelegt. Viviace musste ihn nicht ansehen.
    Sie wusste auch so, dass er ebenfalls in die Ferne starrte. Die kleinen Inseln, an denen sie vorbeisegelten, interessierten ihn nicht. An einem Tag wie diesem hätte Althea mit leuchtenden Augen an der Reling gelehnt. Es hatte gestern stark geregnet, und die vielen kleinen Flüsse der Inseln waren voll und rauschten.
    Einige schlängelten sich in die salzige See hinaus, andere stürzten in silbrigen Schleiern als Wasserfälle von den steileren, felsigeren Inseln. Alle führten frisches Wasser mit sich, das eine Weile über dem Salz schwamm und die Farben des Meeres veränderte, das das Schiff so gelassen durchpflügte. Auf den Inseln wimmelte es von Vögeln: Seevögel, Strandvögel und solche, die auf den hohen Klippen ihre Nester hatten. Sie alle trugen ihre Töne zu dem Chorgesang bei. Es mochte ja Winter herrschen, aber hier, auf diesen Inseln, war es ein Winter mit Regen und üppigem Pflanzenwuchs. Westlich von ihnen lagen die Verwunschenen Ufer, in ihren gewohnten Winterschleier gehüllt. Das dampfende Wasser der vielen Flüsse milderte das hiesige Klima, selbst wenn sie die Pirateninseln mit Nebel überzogen. Diese Inseln kannten keinen Schnee, denn die warmen Gewässer der Inneren Passage hielten den strengen Winter in Schach. Doch auch wenn diese Inseln grün und einladend wirken mochten… Wintrow dachte trotzdem nur an einen anderen, weit entfernten Hafen, tief im Süden, und an die Tagesreise von dort bis zu seinem Kloster. Vielleicht hätte er es besser ertragen, wenn er selbst die schwächste Hoffnung hätte hegen können, dass ihre Reise dort unterbrochen wurde. Aber das würde natürlich nicht geschehen. Sein Vater war nicht so dumm, ihm auch nur die leiseste Hoffnung auf eine Flucht zu gewähren. Ihre Geschäfte führten sie in viele Häfen, doch Marrow gehörte nicht dazu.
    Als wenn der Junge die Gedanken des Schiffes genauso deutlich wahrnehmen konnte wie Althea, ließ er plötzlich den Kopf sinken. Er weinte nicht. Seine Tränen waren längst versiegt, und außerdem hatte er auch den ätzenden Hohn satt, den Torg beim leisesten Anzeichen von Schwäche über ihn ausgoss. Also war ihnen beiden dieses Ventil verwehrt, mit dem er die Verzweiflung hätte herauslassen können, die sich in ihm aufstaute und ihn zu zerreißen drohte. Nach einer Weile holte Wintrow tief Luft und öffnete die Augen. Er starrte auf die Hand, die er in seinem Schoß geballt hatte.
    Seit dem Unfall waren drei Tage verstrichen. Es war ein im Nachhinein gesehen dummes Missgeschick gewesen, und zwar eines, das auf Schiffen an der Tagesordnung war. Jemand hatte ein Tau losgelassen, bevor Wintrow damit gerechnet hatte.
    Viviace glaubte nicht, dass es mit Absicht geschehen war. Der Zorn der Mannschaft auf Wintrow war bestimmt nicht

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