Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen
»zufällige«
Begegnung geplant haben?
In diesem Moment betrat Malta das Zimmer. Sie sah sich bestürzt um, als sie bemerkte, dass alle zusammen saßen und Erfrischungen zu sich nahmen. Dann jedoch huschte plötzlich ein gerissener Ausdruck über ihr Gesicht. Ronica fand es sehr hässlich. Wann war das Mädchen so berechnend geworden? Es war offensichtlich, dass sie gehofft hatte, Delo und Cerwin allein zu begrüßen. Wenigstens schien sie nicht erwartet zu haben, sie heute zu treffen. Obwohl ihr Haar frisch gebürstet war und sie einen Hauch von Farbe auf ihren Lippen hatte, war wenigstens ihr Kleid einem Mädchen ihres Alters angemessen.
Sie trug ein einfaches Wollkleid, das an Hals und Saum bestickt war. Aber etwas an der Art, wie sie es trug, mit der Schärpe um die Taille, verriet die Frau in dem kindlichen Kleid. Und Cerwin Trell war aufgestanden, als habe eine junge Frau den Raum betreten und nicht ein kleines Mädchen.
Es war noch schlimmer, als Ronica befürchtet hatte.
»Malta«, begrüßte ihre Mutter sie und lächelte ihre Tochter an.
»Delo kommt dich besuchen. Aber möchtest du nicht zuerst mit uns Kaffee trinken?«
Delo und Malta sahen sich an. Delo schluckte und leckte sich die Lippen. »Vielleicht kannst du uns ja anschließend diesen Trompetenwein zeigen, von dem du gesagt hast, dass er blüht.«
Sie räusperte sich und sprach lauter als nötig, als sie an Keffria gewandt hinzufügte: »Malta hat uns letztes Mal von ihrem Gewächshaus erzählt. Mein Bruder interessiert sich sehr für Blumen.«
Keffria lächelte. »Tatsächlich? Dann soll er seine Besichtigung bekommen. Malta verbringt so wenig Zeit in ihrem Gewächshaus, dass es mich überrascht, dass sie überhaupt weiß, dass sie einen Trompetenwein hat. Ich werde ihn Cerwin selbst zeigen. Schließlich…«, sie wandte sich lächelnd an Cerwin, »kann ich ihm kaum meinen Goldfisch anvertrauen, nach dem, was er letztes Mal versucht hat.«
Ronica tat der Junge beinahe leid, als er sich zu einem Lächeln zwang und tat, als verstehe er die unterschwellige Bedeutung der Worte nicht.
»Das würde ich sehr genießen, Keffria.«
Ronica hatte erwartet, dass sie die Situation kontrollieren würde. Aber auf diesem Gebiet erfüllte Keffria anscheinend endlich ihre Rolle. Ronica plauderte nur höflich, während sie die Kekse aßen und den Kaffee tranken. Stattdessen beobachtete sie die Anwesenden. Sie war sehr bald davon überzeugt, dass Malta und Delo gemeinsam unter einer Decke steckten. Delo war dabei weit unwohler zumute als Malta. Malta wirkte zwar nicht unbeschwert, aber sie war entschlossen. Sie konzentrierte sich und ihr Gespräch auf Cerwin, der antworten musste, wenn er höflich bleiben wollte. Cerwin schien zwar die Unschicklichkeit der Situation zu spüren, aber er war fasziniert wie die Maus vor der Schlange und konnte sich einfach nicht losreißen. Stattdessen bemühte er sich, Keffrias höflichem Geplauder zu folgen, während Malta ihn über den Rand ihrer Kaffeetasse anlächelte. Ronica konnte es kaum glauben. Keffria hatte sich doch tatsächlich Sorgen gemacht, dass Malta zu naiv wäre, um der Gesellschaft von Bingtown als junge Frau präsentiert zu werden, weil sie fürchtete, dass die Männer sie ausnutzen würden. Das Gegenteil war viel wahrscheinlicher.
Malta beobachtete Cerwin mit der Gier einer herumschleichenden Katze. Tief in ihrem Herzen fragte sich Ronica, was ihr wohl wichtiger war, der Mann oder die Jagd auf ihn. Cerwin war jung und nach dem, was Ronica nach diesem kurzen Eindruck sagen konnte, eher unerfahren in derlei Spielchen. Wenn Malta ihn zu leicht gewann… Und er zeigte kaum die Fähigkeit, ihren Aufmerksamkeiten zu entgehen…
Dann könnte ihre Enkelin ihn sehr wohl für eine anspruchsvollere Eroberung zum Teufel jagen.
Ronica betrachtete Malta mit anderen Augen. Was sie sah, fand sie an einer Frau genauso wenig bewundernswert wie an einem Mann. Ihre Enkelin war eine kleine Raubkatze. Ronica fragte sich, ob es bereits zu spät war, daran etwas zu ändern. Wann hatte sich das hübsche kleine Mädchen nicht nur in eine Frau, sondern in ein besitzergreifendes, lüsternes Weibchen verwandelt? Ronica fand es plötzlich nicht mehr so schrecklich, dass Kyle Wintrow aus seiner Priesterschaft zurückgeholt hatte. Wenn einer von ihnen das Vermächtnis der Händlersippe der Vestrits erben musste, dann war es besser, es gelangte in Wintrows Hände – und nicht in die von Malta.
Sie dachte weiter an Wintrow.
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