Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
war, den er gewollt hatte. Und dies war seine Art, es mir heimzuzahlen. Er hat mich zu einem Sklaven statt zu seinem Sohn gemacht. Oder… Es könnte auch etwas anderes gewesen sein. Er war wohl eifersüchtig auf das Band zwischen mir und dem Schiff. Als er mein Gesicht mit ihrem Bildnis gezeichnet hat, war das seine Art zu sagen, dass wir beide uns nahe waren, weil wir ihn zurückgewiesen hatten. Vielleicht.«
Es war sehr aufschlussreich, Wintrows Gesicht zu beobachten, während er sprach. Die sorgfältig gewählten Worte konnten den Schmerz nicht ganz verbergen. Die ungeschickten Versuche des Jungen, eine Erklärung zu finden, enthüllten nur, dass ihn diese Frage sehr oft gequält hatte. Kennit vermutete, dass ihn keine der möglichen Antworten wirklich zufrieden stellte. Und es war offensichtlich, dass sein Vater sich niemals die Mühe gemacht hatte, ihm sein Verhalten zu erklären. Der Junge trat neben sein Bett. »Ich muss mir jetzt Euren Stumpf ansehen«, sagte er. Der Junge war wirklich geradeheraus. Er nannte es weder Bein noch Verletzung. Es war ein Stumpf, und genauso nannte er es. Er wollte sich nicht bei Kennit einschmeicheln. Diese Integrität war merkwürdig tröstlich. Der Junge würde ihn nicht anlügen.
»Du sagst, dass du deinen Vater abgewiesen hast. Empfindest du immer noch so?« Kennit konnte nicht sagen, warum ihm diese Frage so wichtig war.
Ein Schatten glitt über Wintrows Gesicht. Einen Augenblick dachte Kennit, dass der Junge ihn jetzt belügen würde. Aber als er antwortete, klang die Hoffnungslosigkeit der Wahrheit in seiner Stimme mit. »Er ist mein Vater.« Die Worte waren beinahe ein Schrei des Protestes. »Ich schulde ihm die Pflichten eines Sohnes. Sa befiehlt uns, unsere Eltern zu respektieren und uns über jedes Gute zu freuen, das wir in ihnen finden. Aber in Wahrheit wünschte ich…« Seine Stimme wurde rauer, als beschämte es ihn, diese Wahrheit auszusprechen. »Ich wünschte, er wäre aus meinem Leben verschwunden. Nicht tot, nein, das wünsche ich ihm nicht«, fügte er hastig hinzu, als er Kennits scharfen Blick bemerkte. »Ich wünschte nur, er wäre einfach woanders. Irgendwo in Sicherheit, aber…« Das Schuldbewusstsein ließ ihn stocken, und er fuhr flüsternd fort: »An einem Ort, wo ich nichts mehr mit ihm zu tun haben müsste. Wo ich mich nicht herabgesetzt fühlen müsste, jedes Mal, wenn er mich ansieht.«
»Dafür kann ich sorgen«, antwortete Kennit beiläufig. Der entsetzte Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen verriet, dass er sich fragte, welcher Wunsch ihm da gerade gewährt wurde.
»Stört dich die Tätowierung?«, fragte Kennit, als Wintrow die Decke zurückschlug. Der Priesterjunge beugte sich über Kennits Bein und hielt die Hände über den Stumpen. Kennit hatte das Gefühl, als werde er von einer Geisterhand berührt.
»Einen Augenblick«, bat Wintrow ruhig. »Ich möchte etwas versuchen.«
Kennit wartete gespannt darauf, dass er etwas tat. Doch stattdessen erstarrte Wintrow. Er hielt die Hände unmittelbar über Kennits Stumpf, und zwar so dicht, dass er die Wärme der Handflächen fühlen konnte. Wintrow hielt seinen Blick direkt auf seine Handrücken gerichtet. Seine Zungenspitze zeigte sich zwischen den Lippen, und er biss vor Konzentration darauf. Er atmete so leise, dass man fast den Eindruck gewinnen konnte, als atmete er gar nicht. Die Pupillen seiner Augen wurden immer größer, bis sie schließlich die Iris fast vollkommen verdrängten. Seine Hände zitterten, als strenge er sich ungeheuer an.
Nach kurzer Zeit holte der Junge tief Luft. Er hob den Blick, sah Kennit benommen an und zuckte enttäuscht mit den Schultern. »Vermutlich habe ich es falsch gemacht«, sagte er und seufzte. »Ihr hättet etwas fühlen sollen.« Er runzelte die Stirn, und dann fiel ihm Kennits Frage nach seiner Tätowierung wieder ein. Er beantwortete sie, als hätten sie über das Wetter geredet. »Nur wenn ich daran denke. Ich wünschte, sie wäre nicht da. Aber sie ist nun mal da, und das wird sie auch für den Rest meines Lebens sein. Je eher ich das als einen Teil meines Schicksals akzeptiere, desto klüger werde ich sein.«
»Wieso klüger?«, meinte Kennit forschend.
Wintrow lächelte, zuerst nur schwach, doch je länger er sprach, desto stärker wurde das Lächeln. »Es wurde oft in meinem Kloster gesagt. ›Der weise Mann nimmt den kürzesten Pfad zum Frieden mit sich selbst.‹ Akzeptanz dessen, was ist, ist der kürzeste Pfad.« Nachdem er das gesagt
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