Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
Der Stoff blieb an seinem Stumpf hängen und scheuerte unangenehm an der neuen Haut. Aber sicher bildete sich schon bald eine Hornhaut. Das leere Hosenbein flatterte unheimlich herum. Etta musste es anheften. Noch besser wäre es, wenn sie es einfach abschnitt. Das Bein war weg. Es war sinnlos, das zu ignorieren.
Er grinste, während er sich mit einem einzelnen Socken und einem Schuh abmühte. Warum sollte eine halbe Arbeit doppelt so lange dauern? Er rang ständig mit dem Gleichgewicht und schwankte am Kojenrand. Gerade als er fertig war, trat Etta ein. Sie erschrak, als sie ihn auf seinem Bett sitzen sah, und warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Ich hätte Euch dabei helfen können.« Sie stellte ein Becken und einen Krug mit heißem Wasser auf den Ständer neben seinem Bett. Sie trug eine Bluse in demselben Rot wie ihre Lippen. Ihr Rock bestand aus schwarzer Seide, schwang um ihre Hüften und raschelte einladend, wenn sie ging.
»Ich habe keine Hilfe benötigt«, erwiderte er. »Außer bei dem Hosenbein. Du hättest sie für mich umnähen können. Ich will aufstehen. Wo ist meine Rasierklinge? Weißt du, wo meine Krücke ist?«
»Ich glaube, Ihr handelt überstürzt!«, beschwerte sie sich und sah ihn stirnrunzelnd an. »Noch vorgestern Nacht hattet Ihr leichtes Fieber. Ihr fühlt Euch jetzt wahrscheinlich besser, Kennit, aber Ihr seid noch lange nicht gesund. Ihr gehört ins Bett, jedenfalls noch eine Weile.« Sie trat an sein Bett und fing an, die Kissen aufzuschütteln, als wollte sie, dass er sich wieder hinlegte. Wie konnte sie es wagen? Hatte sie vollkommen vergessen, wer er war und wer sie war?
»Ich gehöre ins Bett?« Er packte sie am Handgelenk. Noch bevor sie reagieren konnte, riss er sie zu sich und umfasste ihr Kinn. Dann drehte er ihr Gesicht herum, damit sie ihn ansah. »Erzähl mir nie wieder, wofür ich gesund genug bin!«, ermahnte er sie streng. Ihre Nähe, ihr schneller Atem, der ihm ins Gesicht schlug, und ihre geweiteten Augen erregten ihn plötzlich. Sie schnappte nach Luft, hastig und verängstigt, und Triumph durchfuhr ihn. So war es richtig. Bevor er wieder das Kommando über sein Schiff antreten konnte, musste er erst einmal das Kommando in seiner eigenen Kajüte wiedererlangen. Diese Frau durfte nicht denken, dass sie hier den Befehl hatte. Er schlang einen Arm um ihre Taille und zog sie zu sich heran. Mit seiner freien Hand packte er ihren Rock am Bund und öffnete ihn. Sie stöhnte kurz auf, als er sie an sich zog. »Du gehörst in mein Bett, Dirne!« Seine Stimme war plötzlich heiser.
»Wenn Ihr es sagt«, murmelte sie unterwürfig. Ihre Augen waren schwarz und weit geöffnet, und sie atmete sehr schnell. Er konnte ihren Herzschlag fühlen. Als er sie zum Bett führte und sie herunterdrückte, leistete sie nicht den geringsten Widerstand.
Die Sonne versank gerade hinter dem Horizont, als die Springeve im Hafen von Divvytown ankam. Brashen betrachtete erstaunt die riesige Siedlung. Als er vor einigen Jahren zuletzt hier gewesen war, hatte Divvytown noch aus einigen Hütten, einer Kaianlage und ein paar Baracken, die als Tavernen dienten, bestanden. Jetzt leuchteten Kerzen hinter vielen Fenstern, und in dem brackigen Hafen bewegte sich sanft ein ganzer Wald aus Masten.
Selbst der Gestank von Elend hatte sich verstärkt. Wenn all diese verstreuten Piratensiedlungen, die er gesehen hatte, an einem Ort versammelt würden, würden sie genauso groß sein wie Bingtown, möglicherweise sogar größer. Und sie wuchsen. Wenn sie unter einem Anführer zusammenkommen würden, wären sie eine Kraft, mit der zu rechnen war. Brashen überlegte, ob genau dieses Potential von diesem Kennit, dem Möchtegern-König der Piraten-Inseln, ebenfalls erkannt worden war. Wenn er solche Macht erlangte, was würde er damit tun? Kapitän Finney hielt ihn offenbar nur für einen Aufschneider, und Brashen hoffte sehr, dass dem wirklich so war.
Als sie langsam an der Reihe der vertäuten Schiffe entlangsegelten, erkannte Brashen plötzlich die Umrisse eines vertrauten Profils. Ihm blieb fast das Herz stehen. Die Viviace dümpelte sanft in der Dünung vor Anker. An ihrer Mastspitze flatterte die Rabenflagge im Wind. Brashen redete sich ein, dass es nur ein Schiff wäre, das eine ähnliche Galionsfigur hatte. Doch unvermittelt schüttelte Viviace ihren Kopf und glättete dann mit den Händen ihr Haar. Es war also ein Zauberschiff, und es war eindeutig die Viviace. Dieser Kennit hatte sie tatsächlich
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