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Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger

Titel: Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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hatte, legte er seine Hände auf Kennits Stumpen. Es war eine leichte, aber trotzdem deutliche Berührung. »Schmerzt das?«
    Die Hände des Jungen strahlten Wärme aus. Und Kennit lief es heiß über den Rücken. Der Pirat war wie vor den Kopf gestoßen. Wintrows Worte schienen durch seine Knochen zu hallen. Akzeptanz dessen, was ist. Das ist der kürzeste Pfad zum Frieden mit dir selbst. Das ist Weisheit. Schmerzt das? Tut Weisheit weh? Tut Frieden weh? Bereitet Akzeptanz Schmerzen? Seine Haut kribbelte am ganzen Körper. Kennit rang nach Luft. Er konnte nicht antworten. Er war von der einfachen Wahrheit des Jungen durchdrungen. Sie durchströmte ihn warm und beruhigend. Natürlich hatte er Recht. Akzeptanz! Er konnte es weder anzweifeln noch abstreiten. Was hatte er denn gedacht? Welche Schwäche hatte ihn verzagen lassen? Seine früheren Gedanken erschienen ihm plötzlich abstoßend, das selbstmitleidige Heulen eines Schwächlings. Er sollte weitermachen, es war ihm bestimmt weiterzumachen. Sein Glück hatte ihn nicht verlassen, als die Seeschlange sein Bein abgebissen hatte. Im Gegenteil, sein Glück hatte ihn am Leben erhalten; das Biest hatte nur sein Bein genommen.
    Wintrow nahm die Hände weg. »Geht es Euch gut?«, fragte er besorgt. Die Worte drangen unnatürlich laut an Kennits geschärfte Sinne.
    »Du hast mich geheilt«, flüsterte er heiser. »Ich bin geheilt.« Er setzte sich mühsam auf und betrachtete sein Bein. Fast erwartete er, dass es wieder nachgewachsen wäre. Doch das war es nicht.
    Es war ein Stumpf, und als er es ansah, durchzuckte ihn ein Gefühl von Verlust. Aber das war alles. Sein Körperumriss hatte sich verändert. Früher einmal war er jung und bartlos gewesen, und jetzt war das nicht mehr so. Früher einmal war er auf zwei Beinen gegangen, und jetzt tat er das nicht mehr. Er würde lernen, auf einem zu gehen. Das war alles. Eine Veränderung. Die akzeptiert werden musste.
    Blitzschnell packte er den Jungen an den Schultern und riss ihn zu sich. Wintrow schrie auf und stützte sich an der Koje ab, damit er nicht fiel. Kennit nahm die Hände des Jungen zwischen die seinen. Einen Moment wehrte Wintrow sich. Dann hob er den Blick. Er starrte Kennit mit wachsendem Erstaunen an. Der Pirat lächelte ihn an und strich sanft mit dem Daumen über die Tätowierung. »Wisch sie weg«, befahl er ihm. »Sie verletzt auf deinem Gesicht nur deine Haut. Du musst sie nicht auch auf deiner Seele tragen.« Kennit hielt ihn noch einen Moment länger fest, bis er sah, wie sich Verblüffung auf der Miene des Jungen abzeichnete. Kennit küsste ihn auf die Stirn und ließ ihn los. Als Wintrow zurückwich, setzte sich Kennit ganz auf und schwang sein Bein vom Bett.
    »Ich habe es satt, hier zu liegen. Ich will aufstehen und herumgehen. Sieh mich an. Ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich brauche den Wind in meinem Gesicht und genug Essen und Trinken. Ich will wieder das Kommando auf meinem Deck übernehmen. Und vor allem muss ich herausfinden, was ich tun kann und was nicht. Sorcor hat mir eine Krücke gemacht. Ist sie noch da?«
    Wintrow stolperte zurück. Die Veränderung in dem Mann schien ihn vollkommen zu überraschen. »Ich… ich glaube schon«, erwiderte er.
    »Gut. Such mir Kleidung heraus und hilf mir, mich anzuziehen. Nein. Leg mir nur die Kleidung heraus. Ich ziehe mich allein an, während du zur Kombüse gehst und mir eine ordentliche Mahlzeit besorgst. Falls Etta in der Nähe ist, schick sie zu mir. Sie kann mir Waschwasser bringen. Und beeil dich. Der Tag ist schon beinahe halb vorüber.«
    Mit großer Genugtuung bemerkte er, dass Wintrow eiligst seinen Befehlen gehorchte. Der Junge wusste, wie er einen Befehl ausführen musste. Das war sehr nützlich bei einem hübschen Kerl wie ihm und konnte auf keinen Fall schaden. Er kannte sich allerdings bei Kennits Dingen nicht gut aus. Etta konnte seine Kleidung besser zusammenstellen, aber was Wintrow herausgeholt hatte, genügte. Sie hatten noch genug Zeit, um sein Auge für passende Kleidung zu schulen.
    Nachdem Wintrow mit einer tiefen Verbeugung den Raum verlassen hatte, widmete sich Kennit seiner Toilette. Das Hemd anzulegen war kein Problem, wenn es ihm auch missfiel, sehen zu müssen, wie dünn seine Arme und Brust geworden waren. Er weigerte sich jedoch, lange darüber nachzudenken. Die Hose war eine weit größere Herausforderung. Selbst wenn er auf seinem Bein stand und sich ans Bett lehnte, war es eine schwierige Angelegenheit.

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