Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
gekapert. Wenn die Gerüchte stimmten, bedeutete das, dass die gesamte Mannschaft abgeschlachtet worden war. Brashen betrachtete die Silhouette des Schiffs und versuchte, mehr Einzelheiten zu erkennen. Eine Rumpfmannschaft bewegte sich gelassen an Bord. Er erkannte niemanden von ihnen, aber wie hätte er das bei dieser Entfernung und diesem Licht auch tun können? Dann erblickte er eine kleine schlanke Gestalt, die auf das Vordeck trat. Die Galionsfigur drehte sich um und begrüßte sie. Brashen runzelte die Stirn. Die Art, wie der Seemann sich bewegte, kam ihm bekannt vor. Althea! Nein, sagte er sich, das konnte nicht sein. Er hatte Althea zuletzt in Candletown gesehen, und sie hatte erklärt, dass sie auf einem Schiff anheuern wollte, das nach Bingtown auslief. Die Viviace war nicht in diesem Hafen gewesen. Sie konnte nicht auf dem Schiff sein. Es war einfach unmöglich. Nur kannte er die merkwürdigen Wege der Winde, Strömungen, Gezeiten und Schiffe und wusste, wie oft es geschah, dass sich unwahrscheinliche Wege auf die seltsamste Art kreuzten.
Er sah zu, wie die schlanke Gestalt an die Bugreling trat und sich dagegen lehnte. Brashen wartete auf eine Geste, auf irgendein Zeichen, das ihm sagte, ob es Althea war oder nicht. Er bekam jedoch keins.
Doch je länger er hinsah, desto überzeugter war er, dass es sich um Althea handelte. Genauso neigte Althea den Kopf, wenn sie dem Schiff zuhörte. So hob sie ihr Gesicht in den Wind. Wer sonst konnte so vertraut mit der Galionsfigur plaudern? Wie das möglich sein konnte, war ihm nicht klar, aber die Gestalt auf dem Vordeck war Althea.
Brashens Emotionen kochten über. Was konnte er tun? Er war nur ein einzelner Mann. Seine Anwesenheit konnte er weder ihr noch dem Schiff verraten. Alles, was er versuchte, würde ihn vermutlich das Leben kosten, und dann wusste niemand in Bingtown, was aus ihnen geworden war. Seine Fingernägel gruben sich tief in seine schwieligen Hände.
Er schloss die Augen und versuchte sich etwas auszudenken, was er unternehmen könnte.
Kapitän Finney sprach ihn leise von hinten an. »Bist du sicher, dass du sie nicht kennst?«
Brashen zuckte bemüht gleichgültig mit den Schultern. Seine Stimme klang viel zu gepresst. »Ich habe sie vielleicht schon mal gesehen… Ich weiß nicht. Ich habe gerade nachgedacht. Ein Zauberschiff, das von einem Piraten gekapert wurde. Es ist das erste Mal.«
»Nein, ist es nicht.« Finney spuckte über die Reling. »Den Legenden zufolge hat Igrot der Schreckliche ein Lebensschiff gekapert und es jahrelang eingesetzt. Deshalb ist es ihm auch gelungen, das Schatzschiff des Satrapen zu kapern. So schnell es auch war, es konnte einem Zauberschiff nicht entkommen. Danach hat Igrot wie ein Gentleman gelebt. Alles nur vom Feinsten: Frauen, Weine, Diener, Kleidung. Er hatte einen Besitz in Chalced und einen Palast auf den Jade-Inseln. Als Igrot sterben musste, hat er angeblich seinen Schatz versteckt und das Lebensschiff versenkt. Wenn er das verdammte Ding schon nicht mit ins Grab nehmen konnte, dann wollte er wenigstens sichergehen, dass kein anderer es in die Finger bekam.«
»Davon habe ich noch nie gehört.«
»Kann ich mir denken. Diese Geschichte wird nicht viel herumerzählt. Man munkelt, er hätte es übermalt und zum Schweigen gebracht, sodass niemand wusste, was er da hatte.«
Brashen zuckte mit den Schultern. »Für mich klingt das so, als hätte er ein normales Schiff gehabt und einfach nur gelogen, damit die Leute glaubten, es wäre ein Zauberschiff. Möglicherweise jedenfalls«, fügte er etwas versöhnlicher hinzu und sah sich auf dem Deck um. Sie waren allein, und er wechselte abrupt das Thema. »Käpt'n. Erinnert Ihr Euch noch, worüber wir geredet haben, vor einigen Monaten? Dass Ihr vielleicht einen kleinen Abstecher nach Bingtown machen wolltet, wenn ich jemanden wüsste, der Euch einen guten Preis für einige auserlesene Stücke machen würde?«
Finney nickte vorsichtig.
»Nun, ich habe nachgedacht. Wenn Ihr das Gemälde von Faldin verkaufen wollt, ist Bingtown sicher der beste Platz. Dort wissen die Leute, worum es sich handelt und was es wert ist.« Er verschränkte die Arme, lehnte sich wieder an die Reling und versuchte, wie ein Mann auszusehen, der mit sich zufrieden ist.
»Und dort könnte ein Mann auch in Teufels Küche geraten, wenn er versucht, so ein Bild zu verkaufen«, erwiderte Finney misstrauisch.
Brashen täuschte eine Lässigkeit vor, die er nicht empfand. »Nicht, wenn man
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