Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
seine rechte und dann seine linke Faust traf. Die Schläge wurden von sehr befriedigenden Geräuschen begleitet. Trotzdem war Wintrow verblüfft, als der größere Mann gegen eine Wand prallte und halb an ihr herunterrutschte. Die Entdeckung seiner eigenen Körperkraft war ein Schock für Wintrow. Schlimmer noch war, dass es sich gut anfühlte, den Mann niederzuschlagen. Wintrow presste die Zähne zusammen, damit er dem Drang widerstehen konnte, ihn auch noch zu treten.
»Lasst mich in Ruhe«, knurrte er Sa'Adar warnend an. »Sprecht mich nie wieder an, oder ich töte Euch.«
Der erschütterte Priester hustete, während er sich langsam aufrappelte. Keuchend deutete er mit dem Finger auf Wintrow. »Sieh nur, was aus dir geworden ist! Es ist die Stimme dieses unnatürlichen Schiffes, das dich als sein Sprachrohr benutzt! Befreie dich, Junge, bevor du für immer verdammt bist!«
Wintrow drehte sich auf dem Absatz um und ging davon. Er ließ das Tablett da liegen, wo es hingefallen war. Zum ersten Mal in seinem Leben war er vor der Wahrheit weggelaufen.
Kennit wälzte sich auf seinem Bett herum. Er hatte es satt, an seine Koje gefesselt zu sein, aber sowohl Etta als auch Wintrow hatten ihn davon überzeugt, dass er es noch eine Zeit lang würde ertragen müssen. Er betrachtete sich stirnrunzelnd im Spiegel neben dem Bett und legte dann die Rasierklinge beiseite. Sein frisch getrimmter Vollbart verbesserte zwar sein Erscheinungsbild, aber seine braune Haut war gelblich geworden, und seine Wangen waren eingefallen. Er übte seinen scharfen Blick im Spiegel. »Ich sehe wie ein Kadaver aus«, erklärte er laut der leeren Kajüte. Selbst seine Stimme klang hohl. Mit einem scharfen Knall legte er den Spiegel auf den Tisch. Dadurch fiel seine Aufmerksamkeit auf seine Hände. Auf den Handrücken traten Venen und Sehnen deutlich hervor. Er drehte die Hände herum. Seine Handflächen wirkten weich wie Talg. Er ballte die Faust und schnaubte verächtlich. Sie sah aus wie mit Knoten gesäumt, die man in eine alte Schnur geknüpft hatte. Das Amulett aus Hexenholz war einmal über seinem Puls festgebunden gewesen. Jetzt baumelte es an seinem Handgelenk. Das silberfarbene Holz war grau und scheckig geworden, als leide es ebenfalls unter seinem Mangel an Vitalität.
Kennit verzog die Lippen zu einem bösen Lächeln. Gut. Es hätte ihm Glück bringen sollen, und stattdessen hatte es ihm so etwas beschert. Sollte das Amulett doch sein Schicksal teilen! Er tippte mit dem Fingernagel dagegen. »Nichts zu sagen?«, verhöhnte er es. Es blieb unbewegt.
Kennit schnappte sich erneut den Spiegel und betrachtete sich darin. Sein Bein heilte. Alle sagten, dass er am Leben bleiben würde. Was nutzte ihm das, wenn er seiner Mannschaft nicht länger Respekt abnötigen konnte? Er war eine Art lebende Vogelscheuche geworden. Sein sehniges Spiegelbild erinnerte ihn an einen Straßenbettler in Divvytown.
Er warf den Spiegel erneut auf den Nachttisch und nahm es in Kauf, dass er zerbrechen könnte. Doch der geschmückte Rahmen und das dicke Glas hielten stand. Kennit schlug die Laken zurück und betrachtete finster seinen Stumpen. Er lag wie eine schlecht gestopfte Wurst auf dem Leinenlaken. Wütend stieß er mit einem Finger dagegen. Der Schmerz war allmählich abgeebbt. Jetzt war nur noch ein widerliches Gefühl geblieben, etwas zwischen einem Kribbeln und einem Jucken. Er hob den Stumpen an. Er sah lächerlich aus, wie die Flosse eines Seehundes, nicht wie das Bein eines Mannes. Kennit war verzweifelt. Er stellte sich vor, wie kaltes Salzwasser in seinen Mund drang und ihn mit eisigem Tod erfüllte, ohne dass er husten oder es herausprusten konnte. Es würde schnell gehen.
Die Intensität seiner Verzweiflung ließ jedoch unvermittelt nach, und er blieb hilflos zurück. Er hatte nicht einmal die Macht, seinem Leben ein Ende zu setzen. Lange bevor er sich zur Reling des Schiffes geschleppt hätte, würde sich Etta an ihn klammern, jammern und ihn anflehen und ihn zu seinem Bett zurückbringen. Vielleicht hatte sie ja schon immer vorgehabt, ihn zu verstümmeln. Ja. Sie hatte ihm sein Bein abgehackt und es an die Seeschlange verfüttert, damit sie ihn endlich beherrschen konnte. Sie hatte vor, ihn hier als ihr Schmusetier gefangen zu halten, während sie heimlich seine Befehlsgewalt unterminierte und der wahre Kapitän dieses Schiffes wurde. Kennit biss die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Die Wut, die ihn durchströmte, berauschte ihn
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