Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger

Titel: Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
beinahe. Er versuchte, Kraft daraus zu schöpfen, stellte sich vor, wie sie es vermutlich schon monatelang geplant hatte. Ihr Ziel war natürlich, das Zauberschiff für sich selbst zu behalten. Und Sorcor steckte vermutlich mit ihr unter einer Decke. Er musste sehr aufpassen, durfte sie nicht merken lassen, dass er sie verdächtigte. Wenn sie es wussten, dann…
    Lächerlich. Es war lächerlich und albern, ein Produkt seiner langsamen Genesung. Solche Gedanken waren seiner unwürdig. Wenn er schon so starke Gefühle in etwas hineinsteckte, sollte er damit lieber seine Heilung beschleunigen. Etta mangelte es vielleicht an vielen Dingen, einschließlich Bildung und Manieren, aber ganz gewiss schmiedete sie keine Ränke gegen ihn. Wenn er sein Bett satt hatte, sollte er es ihnen sagen. Es war ein schöner Frühlingstag. Man könnte ihm aufs Vorschiff helfen. Sie würde sich sicher freuen, sein Gesicht zu sehen. Es war schon lange her, dass sie miteinander geredet hatten.
    Kennit erinnerte sich noch dunkel und schwach an die liebevollen Hände seiner Mutter, die vorsichtig versuchten, seine kleinen Fäuste von einem verbotenen Gegenstand zu lösen, den er ergattert hatte. So hatte sie auch mit ihm gesprochen, leise und vernünftig, während sie ihm das glänzende Messer wegnahm. Und er erinnerte sich auch noch, dass er ihrer Freundlichkeit nicht nachgegeben, sondern sein Missvergnügen laut herausgeschrien hatte. Denselben Trotz fühlte er jetzt. Er wollte nicht vernünftig sein, und er wollte auch nicht mit irgendetwas anderem getröstet werden. Er wollte, dass seine Wut berechtigt war.
    Aber Viviace war in ihm, wob sich durch sein innerstes Wesen. Er war zu schwach, als dass er ihr hätte widerstehen können, als sie sein ärgerliches Misstrauen einfach beiseite schob. Kennit blieb ein diffuses Missvergnügen, das ihm Kopfschmerzen bereitete. Er blinzelte, um die Tränen loszuwerden, die ihm in die Augen getreten waren. Du bist weinerlich wie ein altes Waschweib, verhöhnte er sich selbst.
    Jemand klopfte an die Tür. Er nahm die Hände vom Gesicht und schlug rasch die Decke über sein verunstaltetes Bein. Er versuchte, sich zu sammeln. Dann räusperte er sich. »Herein.«
    Er hatte Etta erwartet, doch statt ihrer trat der Junge ein. Wintrow blieb unsicher in der Tür stehen. Das dämmrige Licht aus dem Flur umrahmte ihn, und vom Heckfenster fiel Licht auf sein Gesicht. Seine Tätowierung lag im Schatten. Sein Gesicht war makellos und offen. »Kapitän Kennit?«, fragte er leise. »Habe ich Euch geweckt?«
    »Nein, überhaupt nicht. Komm herein.« Kennit wusste nicht, warum Wintrows Anblick wie Balsam für seine Seele war. Vielleicht hatte es etwas mit den Gefühlen des Schiffes zu tun. Das Äußere des Jungen hatte sich gebessert, seit er sich in Kennits Obhut befand. Er lächelte den Jungen an, als dieser sich dem Bett näherte, und sah mit Freude, dass er das Lächeln scheu erwiderte. Sein widerspenstiges schwarzes Haar war aus dem Gesicht gekämmt und zu dem traditionellen Seemannszopf zusammengebunden. Die Kleidung, die Etta ihm genäht hatte, stand ihm gut. Das lockere weiße Hemd war ihm ein bisschen zu groß und steckte in seiner dunkelblauen Hose. Für sein Alter war er ziemlich schmal, ein schlanker und geschmeidiger Jüngling. Der Wind und die Sonne hatten ihre Spuren auf Wintrows Gesicht hinterlassen. Der warme Farbton seiner Haut, die weißen Zähne und die dunklen Augen, die dunkle Hose verschwanden in der Dämmerung des Korridors hinter ihm. Es war eine zufällige Komposition aus einem perfekten Zusammenspiel von Licht und Schatten. Selbst der zögernde, fragende Ausdruck auf seinem Gesicht war perfekt, als er jetzt aus dieser Finsternis in das gedämpfte Licht der Kajüte trat.
    Mit einem weiteren Schritt befand sich Wintrow mitten in dem Zimmer. Die Tätowierung auf seinem Gesicht war plötzlich nicht nur sichtbar, sie war auch ein unerträglicher Makel, ein Fleck auf der Unschuld des Jungen. Der Pirat sah die Qualen in dem Blick des Jungen und spürte sein Elend. Unvermittelt wurde Kennit wütend. »Warum?«, wollte er wissen. »Warum hat man dich so gezeichnet? Welche Entschuldigung könnte er dafür haben?«
    Der Junge hob ruckartig die Hand zu seiner Wange, und eine Vielzahl von Gefühlen huschte über sein Gesicht. Scham, Ärger, Verwirrung und schließlich Ungerührtheit. Er antwortete leise und gelassen. »Vermutlich wollte er mich damit etwas lehren. Oder es war Rache, weil ich nicht der Sohn

Weitere Kostenlose Bücher