Zauberschiffe 04 - Die Stunde des Piraten
konzentriert arbeitete. Ihr Interesse ließ beinahe den Schluss zu, dass sie ahnte, dass es hier um ihre Freiheit ging. Er versuchte ihren Umfang abzuschätzen. Mindestens drei Stäbe muss ich entfernen, damit sie rauskommt, dachte er. Vielleicht sogar vier.
Der Mörtel war alt und bröcklig. Wäre das Wintrows einziges Hindernis gewesen, hätte er leichtes Spiel gehabt. Aber die Steine waren mit sehr viel Präzision angefertigt und vermauert worden. Wintrow schuftete, bis er Blasen an den Händen hatte. Seine Knie schmerzten von dem harten Stein. Er beugte sich herunter, pustete Sand und Mörtel weg und versuchte, seine Finger in den Spalt zu stecken. Sie passten gerade hindurch. Selbst wenn er die Steine fassen konnte, hatte er dann auch die Kraft, sie hochzuheben? Er zog mit aller Kraft und hatte das Gefühl, als würde sich der Steinblock ein wenig bewegen. Erneut nahm er den Dolch und kratzte weiter, während die Schlange ihn mit ihren rotierenden goldenen Augen betrachtete. Seine Schulter begann zu schmerzen.
Etta war in Schweiß gebadet, als sie den Strand erreichten. Sie half Kennit, indem sie seinen Arm hielt, ohne dabei zu auffällig zu sein. Manchmal hätte sie schreien mögen, wenn sie bedachte, was das Schicksal diesem Mann angetan hatte. Und was es ihm genommen hatte. Dieser große, starke Körper, der sie einmal eingeschüchtert hatte, verzerrte sich zusehends, je mehr die Muskeln an der einen Seite das verlorene Bein ausglichen. Ihr war bewusst, wie er alles, was er tat oder nicht tat, mit dem Blick darauf plante, sich auf keinen Fall durch ein Anzeichen von Schwäche zu demütigen. Sein tigerhafter Mut war nicht geschwunden, und genauso wenig hatte sein Ehrgeiz nachgelassen. Etta fürchtete nur, dass die Hitze des Feuers, das ihn antrieb, seinen Körper vielleicht eines Tages verzehren würde.
»Wo ist er?«, erkundigte sich Kennit. »Ich kann Wintrow nicht sehen!«
Sie beschattete ihre Augen und spähte den Strand entlang. »Ich auch nicht«, gab sie düster zu.
Der geschwungene Strand war von schwarzem Sand und Steinen bedeckt und wurde zur Landseite hin von der Hochebene begrenzt. Es gab hier nichts, was groß genug war, dass sich Wintrow dahinter hätte verstecken können. Wo also war er? Sie kniff die Augen zusammen, weil das Leuchten der Sonne von dem glitzernden Wasser noch verstärkt wurde. »Kann er den Strand bereits abgelaufen sein? Haben die Anderen ihn getroffen und ihn irgendwohin mitgenommen?«
»Das weiß ich nicht«, knurrte Kennit. Er hob den Arm und deutete auf das entlegene Ende des Strandes, wo sich ein kleines Stück Land vom Ufer gelöst zu haben schien. »Da vorn ist eine Nische im Steilufer, wo alle Schätze aufbewahrt werden. Wenn er am Strand schon einen Anderen getroffen hat, hat ihn die Kreatur vielleicht dort hingebracht, damit er ausbreitet, was er gefunden hat. Mist! Ich hätte bei ihm bleiben sollen! Ich wollte hören, was die Kreatur ihm prophezeit!«
Sie glaubte schon, dass er ihr Vorwürfe machen wollte, sie beschuldigte, dass sie auf dem Weg gezaudert oder ihn irgendwie anders aufgehalten hatte. Stattdessen packte er die Krücke fester unter seine Achselhöhle und deutete mit einem Nicken zu der Felsnische. »Hilf mir, dorthin zu gelangen!«, befahl er grimmig.
Etta ließ ihren Blick über den trockenen Sand und die unebenen schwarzen Felsen gleiten, die den Strand säumten. Es herrschte Ebbe. Schon bald würden die Gezeiten wechseln, und das Wasser würde den Strand allmählich wieder zurückerobern. Die Männer im Boot erwarteten sie zur Flut zurück. Es wäre sinnvoller, wenn sie vorauslief und nachsah, ob Wintrow tatsächlich da war, statt Kennit zu zwingen, den ganzen Strand entlangzuhumpeln. Beinahe hätte sie den Gedanken ausgesprochen, doch dann straffte sie sich und packte Kennits Arm. Kennit wusste all das so gut wie sie selbst. Er hatte befohlen, sie solle ihm helfen, dorthin zu gelangen. Also würde sie es tun.
Seine Handrücken waren blutig gescheuert, und sein Arm schmerzte, als er endlich den ersten Stein aus der Reihe hob. Er war schwerer, als er erwartet hatte, doch die Passgenauigkeit war das größte Hindernis gewesen. Er stemmte seine Hände gegen den Boden, als er sich neben den Block setzte, und schob ihn dann mit den Füßen zur Seite. Jetzt lag der Sockel einer Stange frei. Wintrow stand auf, streckte seinen schmerzenden Rücken und legte dann beide Hände um die Stange. Er hob sie an. Sie knirschte, und die Schlange in ihrem
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