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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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verteidigte.
    Langsam kletterte sie wieder die Wanten hinunter und sprang das letzte Stück auf das Deck. Sie wusste, dass sie nicht ganz fair war, aber sie war aufgewühlt von dem Angriff der Piraten und kümmerte sich nicht darum. Es hatte sie verändert, Männern gegenüberzustehen, die mit Schwertern bewaffnet waren und danach trachteten, sie umzubringen. Bingtown und alles, was sicher und vornehm gewesen war, schien endlos weit hinter ihr zu liegen. Das hier war ein neues Leben. Wenn sie in dieser Welt überleben wollte, musste sie sich kompetent und stark fühlen, nicht schutzbedürftig und verletzlich. Die Stimme in ihrem Inneren verstummte plötzlich, als sie mit einer Wahrheit konfrontiert wurde. Deshalb ärgerte sie sich so über Brashen! Indem er ihre Schwächen ans Licht zerrte, zwang er Althea, sie auch selbst zu sehen. Seine Worte hatten ihr Selbstbewusstsein wie Schlangengift zersetzt. Ihr aufgesetzter Mut, ihr hartnäckiger Wille, zu kämpfen und so zu tun, als wäre sie körperlich den Männern gewachsen, die sie bedrohten, das alles war wie weggeblasen. Letztendlich war es auch noch Lop gewesen, der den Mann für sie zur Strecke gebracht hatte. Lop, der Einfaltspinsel, war bei einem Kampf immer noch nützlicher als sie, einfach nur, weil er größer und stärker war.
    Jek schlenderte heran. Ihre Wangen glühten noch vor Erregung. Sie grinste breit und selbstzufrieden. »Der Käpt'n will dich sprechen. Wegen des Gefangenen.«
    Es fiel Althea schwer, in Jeks zufriedenes Gesicht zu blicken.
    In diesem Moment hätte sie alles darum gegeben, die Größe und Kraft der anderen Frau zu haben. »Ein Gefangener? Hatten wir nicht mehrere?«
    Jek schüttelte den Kopf. »Als Lop den Stock geschwungen hat, meinte er es wohl ernst. Der Mann ist nicht mehr aufgewacht. Eigentlich schade, denn er war wahrscheinlich der Anführer der Entermannschaft. Vermutlich hätte er uns am meisten verraten können. Die Männer, die Lavoy bewacht hat, wollten angeblich über Bord springen. Zwei haben es geschafft, und einer ist an Deck gestorben. Aber einer hat überlebt. Der Kapitän will ihn verhören, und er will, dass du dabei bist.«
    »Ich gehe sofort. Wie ist es dir während des Angriffs ergangen?«
    Jek grinste. »Der Kapitän hat mir die Aufgabe zugewiesen, die Waffen zu verteilen. Ich hatte deshalb wenig Gelegenheit, mein Schwert zu benutzen.«
    »Vielleicht nächstes Mal«, erwiderte Althea trocken. Die große Frau warf ihr einen verblüfften Blick zu, aber Althea fragte nur: »Wo sind sie? In der Kapitänskajüte?«
    »Nein. Auf dem Vordeck.«
    »Bei der Galionsfigur? Was denkt er sich dabei?«
    Darauf wusste Jek keine Antwort, aber Althea hatte auch nicht wirklich eine erwartet. Sie beeilte sich, es selbst herauszufinden. Als sie zum Vordeck kam, stellte sie zu ihrem Missvergnügen fest, dass Brashen, Amber und Lavoy bereits um den Gefangenen herumstanden. Hatte Brashen die anderen etwa zuerst gerufen? Sie versuchte, ihren Zorn und ihre Eifersucht zu unterdrücken. Als sie auf das Vordeck stieg, sagte sie kein Wort.
    Der Gefangene war noch ziemlich jung. Man hatte ihn verprügelt und gewürgt, als man ihn gefangen hatte, aber bis auf einige Beulen und Platzwunden wirkte er unverletzt. Verschiedene Sklaventätowierungen waren auf seinen Wangen sichtbar.
    Und seine dichte braune Haarmähne konnte auch das rote Tuch nicht bändigen. Der Blick seiner braunen Augen wirkte ängstlich und gleichzeitig trotzig. Er saß auf dem Deck. Die Handgelenke waren hinter dem Rücken zusammengebunden und seine Knöchel aneinander gekettet. Brashen stand vor ihm und Lavoy neben seiner Schulter. Amber hielt sich ein Stück von der Gruppe entfernt.
    Sie presste die Lippen zusammen und versuchte gar nicht erst, ihre Missbilligung zu verbergen. Eine Hand voll Matrosen lungerte auf dem Hauptdeck herum und verfolgte das Verhör.
    Clef war unter ihnen. Althea sah ihn finster an, aber der Junge wandte den staunenden Blick nicht von dem Gefangenen ab.
    Nur zwei tätowierte Matrosen waren da. Ihre Mienen waren unbewegt, und ihr Blick war kalt.
    »Erzähl uns von Kennit.« Brashens Stimme war ruhig, aber sein Tonfall verriet, dass er diese Frage schon häufiger gestellt hatte.
    Der Pirat saß auf dem Deck und starrte stur geradeaus. Er sagte kein Wort.
    »Lasst es mich versuchen, Käpt'n«, bat Lavoy, und Brashen verbot es ihm nicht. Der stämmige Erste Maat hockte sich neben den Mann, packte sein Haar über der Stirn, riss seinen Kopf hoch und

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