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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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einzige Mal. Paragon, du hast gelernt, was es für einen Menschen bedeutet, zu sterben. Aber ich glaube nicht, dass du auch die Endgültigkeit ganz begreifst, die darin liegt.« Der Sturm zerzauste ihr Haar, aber sie hielt sich an der Reling fest und wartete auf eine Antwort. Paragon versuchte sich etwas auszudenken, das sie glücklich machen würde. Er wollte nicht, dass Amber seinetwegen traurig war.
    Ihre Trauer reichte tiefer als die jedes anderen Menschen. Sie schien beinahe so leidgeprüft zu sein wie er selbst.
    Plötzlich wandte Paragon all seine Sinne tastend nach innen.
    Da ging etwas vor. Etwas Gefährliches, Angsteinflößendes. Er hatte es schon früher erlebt, und er wappnete sich gegen die gewaltsame Qual und die Schande. Wenn Menschen so zusammenkamen, bedeutete es immer Schmerz für den Schwächeren. Warum war Brashen so wütend auf sie? Und warum erlaubte sie es ihm, warum kämpfte sie nicht gegen ihn an?
    Hatte sie so viel Angst vor ihm, dass sie nicht widerstehen konnte?
    »Paragon! Hörst du mir zu?«
    »Nein.« Er schnappte nach Luft. Das verstand er nicht. Er hatte gedacht, er wüsste, was es bedeutete. Wenn Brashen sie nicht bestrafen wollte, wenn er sie nicht mit Schmerz beherrschen wollte, warum tat er es dann? Und warum erlaubte Althea es ihm?
    »Paragon?«
    »Sssh!« Er ballte die Hände zu Fäusten und presste sie gegen seine Brust. Er würde nicht schreien. Nein, das würde er nicht tun! Amber redete mit ihm, aber er verschloss seine Ohren und stellte auch seine anderen Sinne ab. Das war nicht das, wofür er es gehalten hatte. Er hatte gedacht, er verstünde die Menschen und warum sie sich wehtaten, aber das hier war etwas anderes. Etwas, an das er sich beinahe erinnern konnte. Hätte er noch Augen besessen, hätte er sie geschlossen. Er ließ seine Gedanken frei schweben und spürte, wie uralte Erinnerungen in ihm aufstiegen.
    Althea hielt Brashen fest an sich gedrückt und fühlte, wie sein Herz hämmerte. Er rang nach Luft und presste den Mund an ihren Hals. Sein Haar strich ihr durchs Gesicht, und mit den Fingerspitzen fuhr sie sanft über die lange Schwertwunde, die bereits verschorfte. Dann legte sie die Handfläche dagegen, als könnte sie ihn mit ihrer Berührung heilen. Sie seufzte. Er roch gut, nach dem Meer und dem Schiff und nach ihm selbst.
    Wenn sie ihn fest an sich drückte, dann hielt sie auch all diese Dinge in ihren Armen. »Fast«, flüsterte sie leise. »Ich hatte fast das Gefühl, wir wären geflogen.«

13. Überleben

    »Mama? Wir können jetzt den Hafen von Bingtown sehen.«
    Keffria hob ihren schmerzenden Kopf vom Kissen. Selden stand in der Tür der kleinen Kabine, die sie sich gemeinsam auf dem Kendry teilten. Sie hatte nicht wirklich geschlafen, sondern sich einfach vor Elend zusammengerollt und versucht herauszufinden, wie sie damit leben sollte. Sie sah ihren Sohn an. Seine Lippen waren aufgesprungen und seine Wangen gerötet. Seit dem Unglück in der versunkenen Stadt hatte er diesen abwesenden Blick in den Augen, als wäre er in gewisser Weise für sie verloren. Sogar jetzt, als er vor ihr stand. Selden war ihr letztes Kind, das noch am Leben war. Deshalb hätte sie ihn eigentlich besonders umsorgen müssen. Sie sollte ihn eigentlich jede Sekunde um sich haben. Stattdessen war ihr Herz ihm gegenüber wie taub. Es war besser, ihn nicht zu sehr zu lieben. Er konnte ihr jederzeit weggenommen werden.
    »Kommst du? Es sieht wirklich merkwürdig aus.« Selden machte eine kleine Pause. »Einige Leute an Deck weinen sogar.«
    »Ich komme«, erwiderte sie müde. Es wurde Zeit, sich dem zu stellen. Auf dem ganzen Weg hierher hatte sie es vermieden, mit Selden darüber zu sprechen, was sie hier vorfinden würden.
    Sie schwang die Füße aus dem Bett, stand auf und folgte Selden hinaus.
    Es war ein grauer Tag, und es regnete in Strömen. Das passte gut. Sie stellte sich zu den anderen Passagieren an die Reling und blickte Bingtown entgegen. Niemand plauderte oder deutete mit der Hand. Sie standen alle da und starrten schweigend hinüber. Einigen liefen Tränen über das Gesicht.
    Der Hafen von Bingtown wirkte wie ein Friedhof. Die Masten versenkter Schiffe ragten aus dem Wasser empor. Der Kendry manövrierte vorsichtig um die gesunkenen Schiffe herum und segelte nicht zu der gewohnten Pier der Lebensschiffe, sondern zu einer, die frisch repariert war. Auf der Pier warteten einige Männer, um sie zu begrüßen. Zumindest hoffte Keffria, dass es eine Begrüßung werden

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