Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
er in ein trockenes schlüpfte, sagte Grag: »Es passiert so viel im Moment. Ich kann das gar nicht fassen. Ein Drache? Irgendwie ist es einfacher, an einen Drachen zu glauben als daran, dass Malta tot ist. Wenn ich an sie denke, dann sehe ich sie nur, wie sie in dieser Nacht aussah, als sie in Euren Armen über den Tanzboden geschwebt ist.«
Reyn schloss die Augen. Ein kleines weißes Gesicht blickte ihn aus einem winzigen Boot an, das schnell den Fluss hinunterglitt. »Darum beneide ich Euch«, erwiderte er ruhig.
»Du bist die Händlerin der Vestrits. Du entscheidest für die Familie. Wenn du nicht in diese Angelegenheit verwickelt werden willst, kann ich das akzeptieren. Aber ich werde hier bleiben.« Ronica atmete tief durch. »Ich stehe hier nur für mich. Aber Keffria, wenn du dich entscheiden solltest, zum Bingtown-Konzil zu gehen, dann kannst du dich darauf verlassen, dass ich dich dort unterstütze. Du musst ihnen unsere Sicht der Dinge präsentieren. Das Bingtown-Konzil will mich nicht in der Angelegenheit von Davads Tod anhören. Sie werden mir sicherlich auch jetzt nicht die Erlaubnis dafür geben. Aber ich werde neben dir stehen, während du sprichst, und ich werde die Konsequenzen tragen.«
»Und was soll ich sagen?«, fragte Keffria müde. »Wenn ich ihnen erkläre, dass ich nicht weiß, was mit dem Satrapen oder Malta passiert ist, klingt das wie eine Lüge.«
»Du hast noch eine andere Alternative. Selden und du, ihr könntet aus Bingtown flüchten. Vielleicht lässt man euch eine Weile in Ingelhof in Ruhe. Es sei denn, jemand glaubt, dass er sich die Gunst von Serilla und Caern damit erkaufen kann, euch dort aufzustöbern.«
Keffria legte die Stirn gegen die Hände und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »So etwas geht in Bingtown nicht. Dazu wird es nicht kommen.« Sie wartete darauf, dass jemand ihr beipflichtete, aber keiner sagte etwas. Sie hob den Kopf und betrachtete die ernsten Gesichter, die sich ihr zuwandten.
Es passierte zu viel, und das viel zu schnell. Sie hatten ihr gerade genug Zeit für ein Bad gelassen. Danach hatte Keffria ein frisches Kleid von einer der Tenira-Frauen angezogen, eine einfache Mahlzeit in ihrem Zimmer eingenommen und war dann auch schon zu dieser Versammlung gerufen worden. Als ihre Mutter sie zur Begrüßung in der Haustür umarmte, hatte sie ihr nur sagen können: »Malta ist tot.« Viel Zeit miteinander war ihnen nicht geblieben. Ronica versteifte sich in Keffrias Armen und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, sah Keffria das Leid in dem Blick ihrer Mutter, die Trauer über den Tod ihrer unberechenbaren Enkelin. Der Schmerz glitzerte dort wie Eis, kalt und reglos, zu hart für Tränen. Eine Weile hatten sie gemeinsam getrauert, was merkwürdigerweise die Kluft zwischen ihnen ein großes Stück geschlossen hatte.
Aber während sich Keffria irgendwo verkriechen wollte, bis dieser unverständliche Schmerz verging, bestand ihre Mutter darauf, dass sie weitermachten. Das bedeutete für sie weiterzukämpfen, für Bingtown und für Seldens Zukunft. Ronica hatte Keffria auf ihr Zimmer begleitet und ihr geholfen, trockene Sachen anzuziehen. Dabei hatte sie ihre Tochter hastig weiter über die Lage in Bingtown informiert. Die Worte waren nur so an Keffria vorbeigerauscht. Das Händler-Konzil war zusammengebrochen und konnte nicht mehr regieren. Roed Caern und eine Hand voll anderer junger Händlersöhne terrorisierten die Familien, die ihren Ideen nicht zustimmten. Es war nötig, eine neue Regierung für Bingtown zu schaffen, eine, die alle Menschen einschloss, die hier lebten. Eine Lektion über Politik war aber das Letzte, was Keffria jetzt wollte oder brauchte. Sie hatte nur dumpf genickt, bis Ronica gegangen war und sich mit Jani Khuprus beraten hatte. Jetzt endlich hatte Keffria einen kurzen Augenblick der Ruhe und des Alleinseins gehabt. Dann war sie mit Selden hinuntergegangen, wo diese gemischte Gesellschaft in der großen Eingangshalle des Tenira-Anwesens schon auf sie gewartet hatte.
Es war eine merkwürdige Versammlung, die da an Naria Teniras Tisch saß. Die Tenira-Familie besetzte eine Stuhlreihe.
Daneben saßen die Vertreter von mindestens sechs bedeutenden Händlerfamilien. Keffria erkannte Devouchet und Risch.
Die anderen kannte sie nicht persönlich, und ihre Namen konnte sie sich nicht merken. Dafür war sie zu erschöpft. Zwei Frauen und ein Mann mit tätowierten Gesichtern saßen auf den nächsten Stühlen, und neben ihnen
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