Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
dem der Kamin war. An langen Tischen und Bänken aus Bohlen saßen viele Esser und Trinker und Leute, die sich unterhielten. Anscheinend suchten die Leute hier alle Schutz vor dem aufziehenden Sturm. Brashen und seine Leute wurden zwar neugierig bis forschend betrachtet, aber niemand war direkt feindselig. Brashen legte Maystar freundlich die Hand auf die Schulter, als sie sich an den Tisch setzten. Bevor der Alte ein Wort sagen konnte, rief er nach Branntwein für den Hafenmeister und sich selbst und nach Bier für seine Mannschaft.
Rasch wurde eine Flasche gebracht und geöffnet, und zwei Tonbecher wurden vor ihnen hingestellt. Als der Tavernenjunge ein Tablett mit schäumenden Krügen auf dem Tisch absetzte, drehte sich Brashen zu Maystar um. »Nun, in Divvytown hat sich eine Menge verändert. Die neuen Gebäude und das Empfangskomitee für mein Schiff sind noch das wenigste. Ich habe den Hafen noch nie so leer erlebt. Sagt mir, was passiert ist, seit ich das letzte Mal hier war.«
Einen Moment wirkte der alte Mann verwirrt. Althea fragte sich, ob er sich überhaupt daran erinnerte, dass er derjenige war, der eigentlich die Fragen stellen sollte. Aber Brashen hatte den geschwätzigen Charakter des Mannes sehr gut eingeschätzt. Vermutlich kam er selten in den Genuss, so lange für einen Experten gehalten zu werden. Aus Brashen wurde ein höchst aufmerksamer und schmeichelnder Zuhörer, während Maystar ihm in lebhaften Bildern schilderte, wie der Überfall der Sklavenhändler nicht nur das Stadtbild von Divvytown, sondern auch den Charakter der Stadt selbst für alle Zeit verändert hatte. Während er umständlich weiterredete, wurde Althea klar, dass Kennit kein gewöhnlicher Pirat war. Maystar sprach bewundernd und voller Stolz über ihn. Andere, die neben ihnen saßen, fügten ihre Geschichten hinzu, was Kennit gesagt, getan oder angeregt hatte. Einer von ihnen war offensichtlich ein gebildeter Mann. Die Tätowierung auf seiner Wange krauste sich, als er von seiner Zeit als Sklave unter Deck berichtete, bis Kennit ihn schließlich befreit hatte. Sie sprechen über den Mann, als erzählten sie Heldengeschichten, dachte Althea unbehaglich. Die Schilderungen nötigten ihr widerwilligen Respekt für den Piratenkapitän ab, auch wenn ihr dabei kalt ums Herz wurde. Ein Mann, der so kühn und edel war, würde ein Schiff wie die Viviace nicht so leicht aufgeben. Wenn auch nur die Hälfte der Geschichten über ihn stimmte, hatte Viviace ihm vielleicht ihr Herz freiwillig geschenkt. Und dann?
Althea bemühte sich, weiterhin zu lächeln, und nickte Maystar zu, während sie nachdachte. Sie hatte an die Viviace immer wie an einen gestohlenen Familienschatz oder ein entführtes Kind gedacht. Wenn sie nun aber mehr einem eigensinnigen Mädchen glich, das mit der Liebe ihres Lebens durchgebrannt war? Die anderen lachten über irgendeinen Scherz, und Althea kicherte pflichtschuldigst. Hatte sie das Recht, Kennit die Viviace wegzunehmen, wenn das Schiff ein echtes Band zu ihm geknüpft hatte? Woraus genau bestand ihre Pflicht ihrer Familie und dem Lebensschiff gegenüber?
Brashen beugte sich vor und ergiff die Branntweinflasche. Es war offenbar ein Vorwand, um sein Bein gegen das von Althea zu drücken. Sie fühlte den warnen Druck seines Knies an ihrem und begriff, das er ihr Dilemma durchschaut hatte. Sein kurzer Seitenblick sprach Bände. Mach dir später Sorgen, besagte er.
Jetzt pass lieber auf. Hinterher können wir all die möglichen Konsequenzen durchsprechen. Althea leerte ihren Bierkrug und hielt ihn hoch, als Zeichen, dass er wieder gefüllt werden sollte. Dabei begegnete ihr Blick dem eines Fremden auf der anderen Seite des Tisches. Der Mann beobachtete sie scharf. Althea hoffte, dass ihre nachdenkliche Stimmung ihn nicht misstrauisch gemacht hatte. Am anderen Ende des Tisches spielte Jek gerade Armdrücken mit dem Mann, den sie sich schon vorher ausgesucht hatte. Althea vermutete, dass Jek ihn gewinnen ließ.
Der Mann Althea gegenüber folgte ihrem Blick kurz und sah sie dann wieder an. Er wirkte fröhlich und sah ganz attraktiv aus. Nur die Tätowierungen auf der Wange verdarben den guten Eindruck ein wenig. Als Maystar eine kleine Pause machte, sprach sie den Mann an. »Warum ist der Hafen denn so leer?
Ich habe nur drei Schiffe gesehen, obwohl hier doch leicht ein Dutzend ankern könnte.«
Seine Augen leuchteten bei ihrer Frage auf, und sein Grinsen verstärkte sich. Dann beugte er sich über den Tisch
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